Nur wenig Euphorie über Geburtenanstieg

Berlin. Bundesfamilienministerin Kristina Schröder hat aus Fehlern ihrer Amtsvorgängerin Ursula von der Leyen (beide CDU) gelernt. Erfreut, aber doch mit äußerster Zurückhaltung ließ Schröder gestern durch ihre Sprecherin den von Statistikern ermittelten Geburtenanstieg bestätigen: In den ersten neun Monaten des Jahres 2010 gibt es rund 20 000 Babys mehr

 So viele Neugeborene wie in den letzten Monaten gab es selten in Deutschland. Eine Trendwende ist das aber vermutlich nicht. Foto: dpa

So viele Neugeborene wie in den letzten Monaten gab es selten in Deutschland. Eine Trendwende ist das aber vermutlich nicht. Foto: dpa

Berlin. Bundesfamilienministerin Kristina Schröder hat aus Fehlern ihrer Amtsvorgängerin Ursula von der Leyen (beide CDU) gelernt. Erfreut, aber doch mit äußerster Zurückhaltung ließ Schröder gestern durch ihre Sprecherin den von Statistikern ermittelten Geburtenanstieg bestätigen: In den ersten neun Monaten des Jahres 2010 gibt es rund 20 000 Babys mehr. Aber sind das Anzeichen für eine wirkliche Wende?

Arg voreilig hatte Vorgängerin von der Leyen noch vor der Bundestagswahl 2009 eine ähnliche Neun-Monate-Bilanz als Erfolgsbeleg für das Elterngeld und ihre Familienpolitik verkauft. Doch das böse Erwachen kam, als dann die Jahres-Gesamtbilanz des Statistischen Bundesamtes vorlag. 2009 wurde mit nur 665 000 Geburten das bislang einmalige Rekordtief im Nachkriegsdeutschland registriert - nicht einmal halb so viele Babys wie im Geburten-Rekordjahr 1964. Nicht nur, weil sich bei den monatlichen Vorabmeldungen zwischen Kommunen, Ländern und den Bundes-Statistikern schon mal Fehler einschleichen: Bevölkerungs-Wissenschaftler warnen auch aus ganz anderen Gründen zur Vorsicht bei Kurzzeitbetrachtungen. Denn der Trend bei der Geburtenentwicklung in Deutschland ist jetzt seit 1980 insgesamt rückläufig. Im Saarland sinkt die Zahl der Neugeborenen stetig, von 2001 bis 2009 von 8196 auf 6927. Einzelne Jahres-Ausreißer nach oben ändern an diesem Trend nichts.

Schon immer ist die Geburtenentwicklung Schwankungen und Wellenbewegungen unterworfen. Bereits vor Einführung der amtlichen Statistik in Preußen galt die Faustregel: Geburtenstarke Jahrgänge produzieren wieder welche. Die "Baby-Boomer-Generation" der 60er Jahre brachte ihre Kinder um 1990 zur Welt und ließ 1991 zum Beispiel die Statistik wieder auf 830 000 Geburten hochschnellen. Diese Kinder werden wiederum vermutlich um 2020 zu einem leichten Anstieg der Geburtenzahl beitragen.

Noch offen ist, wie weit sich die jüngste Wirtschaftskrise auf die Bevölkerungsentwicklung auswirkt. Die weltweiten Folgen des "Schwarzen Freitags" von 1929 mit dem Zusammenbruch der amerikanischen Börse ließen in allen Industrienationen die Geburtenzahlen ins Bodenlose stürzen. "Die schwierigen Jahre danach bedeuteten weltweit das Ende der Vielkindfamilie", analysiert der Berliner Familienforscher Hans Bertram.

Und auch in den ersten Jahren nach dem Zusammenbruch der DDR reagierten die jungen Familien dort mit äußerster Zurückhaltung auf die unsicheren Zeiten: Es wurden nur noch halb so viele Kinder geboren wie zuvor. Die Geburtenrate pro Frau sank im Osten von 1,5 auf 0,7. Bundesweit liegt sie heute in Deutschland bei unter 1,4.

Das Familienministerium verweist auf Umfragen, wonach der Wunsch von Paaren nach einem Kind trotz der noch nicht völlig ausgestandenen Krise zugenommen habe. Schwedische Studien belegen, dass Familien bei ihren Kinderwünschen heute auf Leistungskürzungen des Staates viel sensibler reagieren als auf allgemeine wirtschaftliche Entwicklungen. Bei Entscheidungsprozessen für oder gegen ein Kind gehe es oft um Dinge, die die unmittelbaren Lebensinteressen der Eltern direkt tangieren, glaubt Bertram.

Wie viele der jetzt Neugeborenen von Frauen mit ausländischen Wurzeln zur Welt gebracht wurden, weist die neue Statistik nicht aus. Der jüngste Bildungsbericht von Bund und Ländern verdeutlicht allerdings den explosionsartigen Anstieg des Migrantenanteils in Ballungszonen. So haben in Frankfurt inzwischen 72 Prozent aller unter Dreijährigen ein Elternteil ausländischer Herkunft.

Meinung

Deutschland hat sich verändert

Von SZ-Redakteur

Ulrich Brenner

Es wäre eine tolle Nachricht zum Jahresende, wenn sich der Geburten-Trend wenden, die Vergreisung Deutschlands gedrosselt würde. Nach all den demografischen Hiobsbotschaften der vergangenen Jahre zögert man, daran zu glauben. Und doch: Deutschland hat sich verändert. Die Betreuungsmöglichkeiten für kleine und große Kinder in Krippen, Kitas und Ganztagsschulen - freiwillig oder gebunden - haben sich zuletzt massiv verbessert. Das Elterngeld federt finanzielle Einbußen auch für die Mittelschicht ab. Und die gesellschaftliche Akzeptanz dafür, dass Frauen ihre Kinder zugunsten eines Jobs fremdbetreuen lassen (ein Grund für den Kinderreichtum in Frankreich), ist auch bei uns gestiegen. Wenn all diese Veränderungen die Menschen nicht ermutigen, das Abenteuer Elternschaft zu wagen, was dann? Vielleicht gibt es sie ja doch, die Wende bei den Geburten.

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