Wieder Proteste in Moskau Nawalny lässt Putin keine Ruhe

<irspacing style="letter-spacing: -0.005em;">Moskau</irspacing> · Bei Protesten gegen die russische Führung sind gestern landesweit erneut hunderte Demonstranten festgenommen worden.

() Das alberne Sowjet-Theater mit Soldaten in Uniformen schließt vorzeitig. Die mittelalterlichen Axtwerfer müssen ihre Kämpfe einstellen. Denn direkt neben ihnen, auf einer der Hauptstraßen Moskaus, wird eine andere, zeitgenössische Schlacht ausgefochten. Jugendliche Kremlkritiker lehnen sich gegen die Polizei auf.

Die Einheiten kommen immer näher, den Schlagstock griffbereit. Eine Kette aus schwerbewaffneten Polizisten schließt die Demonstranten von allen Seiten ein. Keiner kommt auf der Hauptstraße Richtung Kreml durch. Wer raus will, wird rausgetragen – von den Polizisten an Armen und Beinen. Andere werden brutal am Genick gepackt und in Polizeibusse gedrängt. Insgesamt sind es nach Schätzungen von Beobachtern in Moskau rund 600 Festnahmen.

Eigentlich hätte am Montagnachmittag an der Twerskaja Straße ein Volksfest zum russischen Nationalfeiertag stattfinden sollen. Doch Oppositionspolitiker Alexej Nawalny machte dem einen Strich durch die Rechnung, ohne überhaupt anwesend zu sein: Er wurde bereits vor der Kundgebung festgesetzt.

Für den Moskauer Michail gibt es keine Alternative zum Protest. „Wir warten schon zu lange auf eine Veränderung. Vom Kreml kommt nichts“, sagt der Mann, als er seine Tochter Maria auf die Schultern setzt. Bereits im März waren sie in der Hauptstadt unterwegs, als Nawalny zu Protesten aufgerufen hatte. „Die Korruption macht unser Land kaputt. Wir haben keine Angst, festgenommen zu werden. Aber davor, dass sich in diesem Land nichts ändert“, sagt die Zwölfjährige.

Begonnen hatte alles mit einem millionenfach geklickten Video, in dem Nawalny Regierungschef Dmitri Medwedew Korruption vorwirft. Am 26. März eskalieren die nicht genehmigten Proteste, mehr als 1000 Menschen werden in Moskau festgenommen. Bei der jetzigen Demo sollte es eigentlich anders werden: Die Behörden genehmigen den Protest, jedoch nicht in Kremlnähe. Zunächst nimmt Nawalnys Organisationsteam den Vorschlag an, an einem anderen Ort im Stadtzentrum zu demonstrieren. Doch nur Stunden vor dem Beginn gibt es eine Kehrtwende, angeblich wird das Team bei den Vorbereitungen behindert. Bevor Nawalny sein Haus verlässt, wird er festgenommen.

Hat Nawalny damit die Behörden bewusst provoziert? Oder ist er dem Kreml in eine Falle getappt? Eigentlich wollte Moskau solche Bilder wenige Tage vor dem Confederations Cup vermeiden. Brutale Szenen wie im März sollten sich nicht wiederholen. In rund 200 Städten in der Provinz gibt es ebenfalls Proteste und Festnahmen.

Der 41-jährige Nawalny will im kommenden Jahr bei der Präsidentenwahl antreten. Unklar ist, ob er wegen einer Bewährungsstrafe überhaupt antreten darf. Experten sagen, die Rechtslage verbiete es. Der Jurist Nawalny sieht das anders und will seine Kandidatur durchboxen. Das Beste für die Polittechnologen des Kremls wäre es nach Einschätzung des regierungskritischen Magazins „New Times“, Nawalny zu ignorieren. Stattdessen leiste die Staatsmacht dem Putin-Kritiker mit einer gezielten Kampagne Schützenhilfe. „Diese Maschinerie verschafft ihm sein wichtigstes Kapital: Aufmerksamkeit.“ Mehrfach wurde Nawalny seit März mit grüner Farbe beworfen. Eine Attacke hätte ihn nach eigener Darstellung fast das Augenlicht gekostet. Im Mai lieferten sich Nawalny und der schwerreiche, kreml­nahe Oligarch Alischer Usmanow einen juristischen Schlagabtausch. Nawalny hatte ihm vorgeworfen, in das Netz aus Korruption von Regierungschef Medwedew verstrickt zu sein. Nawalny verlor den Prozess, doch die Aufmerksamkeit hatte er.

Nawalnys Aktionen sind längst zu Selbstläufern geworden, die bis zur Wahl im März 2018 die Stimmung anheizen dürften. Meinungsforschern zufolge ist die Proteststimmung im Mai gestiegen. Gut ein Drittel der Russen halten regelmäßig stattfindende Massenproteste für wahrscheinlich.

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