Abrüstungsstreit Das Ende des INF-Vertrags schürt Ängste

Brüssel/Washington · Nach der Aufkündigung des Abrüstungsvertrags durch die USA und Russland droht ein neues Wettrüsten in Europa. Die Nato wehrt ab – noch.

  Putin, Trump und gefährliche Raketenspiele: Davor warnten Demonstranten am Freitag in Berlin mit Blick auf den Abrüstungsstreit der USA und Russlands.

Putin, Trump und gefährliche Raketenspiele: Davor warnten Demonstranten am Freitag in Berlin mit Blick auf den Abrüstungsstreit der USA und Russlands.

Foto: dpa/Paul Zinken

Wer das Interview mit Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg im ZDF verfolgte, konnte versucht sein, aufzuatmen. „Wir haben nicht die Absicht, neue landgestützte nukleare Waffensysteme in Europa zu stationieren“, erklärte Stoltenberg da am Freitagabend – kurz nachdem die USA einen der wichtigsten Abrüstungsverträge mit Russland gekündigt hatten. Die Nato müsse nicht notwendigerweise das spiegeln, was Russland tue. Man werde „verantwortungsbewusst“ antworten. Also kein neues Wettrüsten? Keine neuen Nuklearwaffen in Deutschland? Was Stoltenberg nicht sagte, ist, dass sich an der Situation schnell etwas ändern könnte. Dann, wenn es einen einstimmigen Beschluss der 29 Mitgliedstaaten dazu gäbe.

Spätestens im Sommer, wenn der INF-Vertrag zum Verzicht auf landgestützte atomare Mittelstreckenwaffen von 1987 nach Ablauf der sechsmonatigen Kündigungsfrist endgültig Geschichte ist, dürfte die Aufrüstungsdiskussion richtig losgehen. Schon jetzt stehen die Zeichen auf Krise, weil auch Moskau den Vertrag inzwischen ausgesetzt hat und prompt Arbeiten an neuen Hyperschall-Mittelstreckenraketen ankündigte. „Die amerikanischen Partner haben die Aussetzung ihrer Teilnahme an dem Vertrag erklärt, und wir setzen ihn ebenfalls aus“, sagt Präsident Wladimir Putin am Samstag.

Der Nato droht damit eine neue Zerreißprobe. Während Länder wie Deutschland eine atomare Nachrüstung in Reaktion auf mutmaßliche Vertragsverstöße Russlands vehement ablehnen, äußern sich andere bereits offen. So machte der polnische Außenminister Jacek Czaputowicz deutlich, dass sein Land im Zweifelsfall bereit wäre, zur Abschreckung Russlands neue amerikanische Mittelstreckenwaffen auf seinem Gebiet zu stationieren. Russland verstehe nur die Sprache der Stärke, sagt er im „Spiegel“.

Auch Experten warnen davor, die Entwicklung landgestützter nuklearer Mittelstreckenwaffen und ihre Stationierung in Europa von vornherein auszuschließen. „Nur auf diplomatische Bemühungen zu setzen und bestimmte militärische Gegenmaßnahmen von vornherein auszuschließen, schwächt Europas Verteidigung und erhöht die Optionen Russlands“, schreiben der frühere beigeordnete Nato-Generalsekretär Heinrich Brauß und der stellvertretende Direktor des Forschungsinstituts der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, Christian Mölling, in einer Analyse.

Strategisches Ziel des neuen russischen Waffensystems sei es auch, die politische Entscheidungsfähigkeit, die Entschlossenheit und den Verteidigungswillen der europäischen Verbündeten im Krisen- und Verteidigungsfall zu lähmen. Weil die Raketen vom Typ SSC-8 in der Lage seien, in fast ganz Europa Hauptstädte und kritische zivile und militärische Infrastruktur mit geringer oder ohne Vorwarnzeit treffen zu können, könnten sie im Konfliktfall die Handlungsfreiheit der Nato erheblich einschränken.

Ob der Weg, den die USA jetzt gehen, der richtige ist, ist derweil umstritten – auch wenn man sich im Westen weitgehend einig ist, dass Russland mit der Entwicklung der SSC-8 die Hauptschuld an der derzeitigen Situation trägt. Dennoch wächst die Angst vor einer neuen Aufrüstungsspirale.

Gibt es einen Weg, die Sicherheit in Europa ohne diese Entwicklung zu garantieren? Außenpolitiker von CDU und SPD machten dazu am Wochenende einen Vorschlag an Russland und die USA. Roderich Kiesewetter, Obmann der Union im Auswärtigen Ausschuss, und der Vize-Vorsitzende der SPD-Fraktion, Rolf Mützenich, forderten Moskau auf, seine neuen Marschflugkörper so weit nach Osten zu verlegen, dass sie Europa nicht mehr erreichen können, berichtete die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“. Im Gegenzug sollten US-Raketenabschussanlagen in Europa für russische Kontrollen geöffnet werden. Dass sich die beiden Länder auf einen solchen Vorschlag aus Deutschland einlassen, erscheint allerdings äußerst unwahrscheinlich. Als wahrscheinlicher erscheint, dass die USA ihre europäischen Verbündeten dazu bewegen, bei der Aufrüstung gegen Russland mitzuziehen. Sonst könnte ein US-Ausstieg aus der Nato drohen, den Präsident Trump schon öfter ins Spiel geworfen hatte.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort