Müder Kaiser

Tokio · Japans Kaiser Akihito will nicht einfach nur in Rente gehen. Mit dem Vorhaben, seine zeremonielle Rolle abzugeben, mischt er die japanische Gesellschaft auf. Denn eine Abdankung des Kaisers ist in Japan überhaupt nicht vorgesehen.

 Er gilt als zurückhaltend und vornehm: Japans 125. Kaiser Akihito. Foto: Mayama/dpa

Er gilt als zurückhaltend und vornehm: Japans 125. Kaiser Akihito. Foto: Mayama/dpa

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Wie in Japan üblich, drückt der Kaiser seinen Wunsch nur indirekt aus: In gesetzten Worten hat er am Montag von seinem schlechten Gesundheitszustand gesprochen, von seiner Verantwortung als Symbol des Staates und von den Vorteilen eines jüngeren Monarchen . Übersetzt heißt das: Er will abdanken. "In einer Welt, die sich ständig verändert, habe ich darüber nachgedacht, wie das Kaiserhaus seine Traditionen in der heutigen Zeit einer guten Sache weihen kann", las Kaiser Akihito in einer Videobotschaft vom Blatt ab. Gerade in der alternden Gesellschaft seien junge Impulse wichtig. Dafür, so seine unausgesprochene Bitte, soll das Parlament den Weg freimachen.

Japan befindet sich nach der Ansprache in Aufregung: Plötzlich ist der Kaiser wieder überall Gesprächsthema. Der Vergleich mit der Queen drängt sich auf, die am Thron klebt, und mit Papst Benedikt, der für seinen außergewöhnlichen Rücktritt viel gelobt wurde. Japans Kaiser macht wie Benedikt das Unerwartete, und damit begehrt er sanft gegen die Grenzen der monarchischen Regeln in einer insgesamt viel zu starren Gesellschaft auf. Seit dem frühen 19. Jahrhundert dankte kein Kaiser mehr zu Lebzeiten ab.

Akihito ist beim Volk besonders beliebt. Er wirkt immer gütig und zugleich unglaublich vornehm. Als erster Monarch einer Dynastie, die über zwei Jahrtausende in ununterbrochener Linie zurückreicht, zeigte er sich zumindest ein wenig offen und volksnah. Beschränkungen legte ihm dabei vor allem das extrem strenge Hofprotokoll auf.

Der Wunsch des Kaisers, seine zeremonielle Rolle an seinen Sohn abzugeben, ist dabei verständlich. Akihito ist 82 Jahre alt, er hat eine Prostata- und eine Herzoperation hinter sich. Die öffentlichen Aufgaben fielen ihm in den vergangenen Jahren zunehmend schwer: Wenn er beispielsweise Staatsoberhäupter empfing, bewegte er sich steif und mit sichtbarer Anstrengung. Im vorigen Jahr hatte das Hofamt ihn dennoch für 270 Audienzen eingeplant.

Mit Kronprinz Naruhito steht zudem ein bestens geeigneter Nachfolger bereit. Der 56-Jährige hat ebenfalls ein gutes Image beim Volk und würde sich gern mehr in der Gesellschaft engagieren. Die Möglichkeiten dazu sind allerdings beschränkt: Verfassung und Gesetze sehen nur eine symbolische Rolle für das Kaiserhaus vor.

Das war auch der Grund dafür, dass Akihito bei einem Empfang in den Palastgärten vor drei Jahren einen Brief nicht lesen durfte, den ihm ein junger Parlamentsabgeordneter respektvoll übergeben hatte. Der Haushofmeister nahm ihm das Papier sofort ab - obwohl Akihito selbst dem jungen Mann offenbar noch länger zugehört hätte. Es ging dem Bittsteller um das Schicksal von Kindern in der Provinz Fukushima, die seit dem Reaktorunfall in dem gleichnamigen Atomkraftwerk erhöhter Strahlung ausgesetzt sind. Doch das ist Tagespolitik - und damit für den Kaiser tabu.

Überhaupt steht er nach japanischer Auffassung so hoch über den Normalsterblichen, dass es auch für Abgeordneten ein Bruch mit allen Sitten ist, den Kaiser unvorbereitet anzusprechen. Jede Begegnung mit dem Monarchen folgt einem Protokoll und ist bis zum genauen Winkel der jeweiligen Verbeugung durchgeplant. Ein Heer von Beamten wacht über die Einhaltung der Traditionen und schirmt die kaiserliche Familie systematisch von der Außenwelt ab. Kronprinzessin Masako, vor ihrer Heirat mit Naruhito eine fitte Diplomatin, ist im goldenen Käfig depressiv geworden.

Doch der Kaiser wagte es aus eigenem Antrieb immer wieder, sich seinem Volk zu nähern. Nach dem Reaktorunfall 2011 besuchte er Unterkünfte von Geflüchteten. Er wandte sich erstmals per Video an das Volk, um den Betroffenen angesichts einer Katastrophe mit fast 20 000 Toten Mut zu machen. Seine Bitte um die Möglichkeit der Abdankung entspricht einem ähnlichen Wunsch: aus den starren Vorgaben des Zeremoniells auszubrechen.

Paradoxerweise hat er damit die größten Anhänger des Kaisertums gegen sich. Die Rechtskonservativen verehren den Tenno - wie bis 1945 üblich - auch heute noch als Gott. Für sie ist das "Gesetz über den kaiserlichen Haushalt" von 1889 in Stein gemeißelt, und das sieht vor, dass er bis zu seinem Ableben auf dem Thron bleiben muss. Es wäre nicht das erste Mal, dass Akihito sich ausgerechnet mit den Royalisten anlegt. Er war es auch, der sich den Taten seines Vaters stellte: des regierenden Kaisers Hirohito, der Japan in den Zweiten Weltkrieg führte, unter dessen Banner die Armee Gräueltaten in den Nachbarländern verübte. Von "tiefer Reue" sprach Akihito mehrfach, zuletzt bei einer Gedenkveranstaltung für die Kriegsopfer im vergangenen Jahr. Er stellte sogar die "Reinheit" des kaiserlichen Blutes infrage, indem er zugab, dass seine Familie vermutlich koreanische Wurzeln habe.

Wenn das Parlament dem 125. Kaiser erlaubt, aus eigenem Antrieb abzutreten, dann hätte er eine wichtige Änderung vollbracht. Wenn das Parlament dann auch noch die Thronfolge für seine Enkelin, Naruhitos Tochter Aiko (14), öffnet und damit erstmals seit Jahrhunderten wieder eine Kaiserin zulässt - dann hätte Akihito einen Kulturkampf um den Chrysanthementhron gewonnen. Wann das Parlament über eine Revision des Kaisergesetzes entscheiden wird, ist aber noch unklar.

Meinung:

Monarchie in Schwierigkeiten

Von SZ-Mitarbeiter Finn Mayer-Kuckuk

 Kronprinz Naruhito soll der nächste Tenno von Japan werden. Foto: dpa

Kronprinz Naruhito soll der nächste Tenno von Japan werden. Foto: dpa

Foto: dpa

Japan erlebt mit der Ankündigung des Tenno, abdanken zu wollen, einen Sturm im Wasserglas, der auch das Parlament beschäftigen wird. Denn trotz der zahlreichen Funktionen des Kaisers ist eine Rentenregelung nicht vorgesehen. Gegen diesen Denkfehler lehnt Akihito sich auf. Die Probleme der japanischen Monarchie reichen jedoch viel tiefer - und gehen allesamt auf das misslungene Gesetz zur Regelung des Kaisertums zurück. Frauen auf dem Thron sind nicht erlaubt, der Kronprinz hat aber nur eine Tochter. Damit wird der einzige Neffe des Kaisers einmal den Titel erben. Zudem ist ein Mangel an Thronfolgern und Heiratskandidaten bereits deutlich abzusehen. Weibliche Familienmitglieder behalten ihren kaiserlichen Status nur, wenn sie kaiserliche Prinzen heiraten. Dafür wäre inzwischen aber extremer Inzest nötig. Warum Ehe und Erbfolge nicht für die Heirat mit Bürgerlichen öffnen? Wenn das Parlament die Gesetzgebung zum Kaiserhaus schon anpackt, sollte es richtige Arbeit leisten.

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