US-Anklage gegen Martin Winterkorn Mr. Volkswagen drohen 25 Jahre Haft

Detroit/Berlin · Es war lange ruhig um den Ex-VW-Chef. Jetzt holt ihn der Abgas-Skandal mit voller Wucht ein. Die US-Justiz erhebt schwere Vorwürfe gegen Martin Winterkorn.

 Es wird ernst für Martin Winterkorn. Der einstige Volkswagen-Chef will von den Diesel-Tricks nichts gewusst haben. Doch die US-Justiz klagt ihn an – wegen Betrugs und Verschwörung.

Es wird ernst für Martin Winterkorn. Der einstige Volkswagen-Chef will von den Diesel-Tricks nichts gewusst haben. Doch die US-Justiz klagt ihn an – wegen Betrugs und Verschwörung.

Foto: dpa/Uli Deck

Jetzt wird es doch noch eng für Martin Winterkorn. Immer wieder hatte der einstige VW-Chef beteuert, er habe sich in der Abgas-Affäre nichts zuschulden kommen lassen. Verfehlungen Einzelner, aber kein Wissen von Top-Managern über den millionenfachen Betrug mit Schadstoffwerten bei Dieselautos – das war die Linie des langjährigen Konzernlenkers, der im Herbst 2015 über die Manipulationen gestolpert war. Doch es gibt offenbar Leute, die ihm nicht glauben.

Denn jetzt greift der lange Arm der US-Justiz auch nach dem früher schier unantastbaren „Mr. Volkswagen“. Die Behörden in den Vereinigten Staaten – Ursprungsland des „Dieselgate“ – machen Winterkorn zum hochrangigsten Beschuldigten im Strafverfahren gegen mutmaßlich mitverantwortliche VW-Mitarbeiter. Und die Vorwürfe gegen „Wiko“, wie er im Konzern ehrfürchtig genannt wurde, wiegen schwer.

Die Anklage lautet auf Betrug und Verschwörung. Justizminister Jeff Sessions droht: „Wir werden diesen Fall mit der maximalen Härte des Gesetzes bestrafen.“ Denn: „Wenn Du die Vereinigten Staaten zu betrügen versuchst, dann wirst Du einen hohen Preis zahlen.“ Man gehe davon aus, dass das VW-Komplott „bis in die Unternehmensspitze“ reichte. 2017 hatte es noch geheißen, die Täuschungen seien wohl unterhalb der höchsten Ebene abgelaufen. Experten rechnen nach der Ankündigung aus Amerika mit weiteren Anklagen.

Die Vergangenheit holt Winterkorn, der den VW-Konzern von Anfang 2007 bis September 2015 führte, nun schlagartig ein. Zwar ist der inzwischen 70-Jährige nicht inhaftiert, und eine Auslieferung aus Deutschland in die USA wäre nach Aussagen aus Justizkreisen unwahrscheinlich. Doch auch so ist die Lage brenzlig genug. Sollten US-Fahnder Winterkorn doch irgendwie irgendwo schnappen – wie es einem anderen VW-Manager schon passiert ist – , drohen ihm bei einer Verurteilung schlimmstenfalls 25 Jahre Haft, einschließlich satter Geldstrafe. Eine Stellungnahme Winterkorns war über einen Anwalt am Freitag zunächst nicht zu erhalten. „Wir prüfen das und werden uns zu gegebener Zeit äußern“, hieß es.

„Fassungslos“ sei er, dass „Verfehlungen dieser Tragweite im Volkswagen-Konzern möglich waren“, hatte der Manager 2015 beim Rücktritt wegen der gefälschten Emissionsdaten gesagt. In einer Videobotschaft an die Belegschaft äußerte er damals sein Entsetzen: „Manipulieren und Volkswagen – das darf nie wieder vorkommen.“ Er selbst sei sich „keines Fehlverhaltens bewusst“.

Danach blieb es um ihn relativ still. Im Ruhestand gab es hier und da zwar ein paar unangenehme Schlagzeilen: hohe Rentenbezüge, ein angeblich auf Konzernkosten beheizter Koi-Karpfenteich auf seinem früheren Luxusanwesen. Doch in der Diesel-Affäre – der größten Krise der VW-Geschichte – schien der Ex-Chef eher glimpflich davonzukommen.

Bleibt das nach der US-Anklage so? Selbstverständlich gelte bis zum Beweis des Gegenteils die Unschuldsvermutung, betonten die Behörden. Dass die US-Strafverfolger es in der Sache sehr ernst meinen, mussten jedoch andere angeklagte VW-Mitarbeiter schon schmerzlich erfahren. Der Ingenieur James Liang, der früh ein Geständnis abgelegt und als Kronzeuge kooperiert hatte, wurde im vorigen August zu mehr als drei Jahren Gefängnis verurteilt. Oliver Schmidt, bis 2015 in leitender Funktion für Umweltfragen in den USA zuständig, brummte der knallharte Richter Sean Cox im Dezember sieben Jahre Haft auf. Schmidt war in einem Florida-Urlaub auf der Flughafen-Toilette verhaftet worden. Inklusive Liang und Schmidt waren vor Winterkorn bereits acht ehemalige und amtierende VW-Mitarbeiter von der US-Justiz angeklagt worden. „Wiko“ ist jetzt aber das mit Abstand größte Kaliber.

Zivilrechtlich hat sich der Konzern mittels teurer Vergleiche mit Sammelklägern in Nordamerika zwar weitgehend freigekauft. Doch jeder, den die US-Behörden persönlich im Verdacht haben könnten, muss weiter zittern.

Auch in Deutschland laufen die Ermittlungen auf Hochtouren. Allein in Braunschweig prüfen mehrere Staatsanwälte mit Unterstützung des niedersächsischen Landeskriminalamts den Verdacht des Betrugs und der Marktmanipulation – auch gegen Winterkorn. Schon Anfang 2017 verkündeten die Ermittler „zureichende tatsächliche Anhaltspunkte“ dafür, dass Winterkorn früher als von ihm öffentlich behauptet Kenntnis der „manipulierenden Software und deren Wirkung gehabt haben könnte“. Büro- und Wohnräume wurden durchsucht. Kern der Verdachts, der auch in der US-Anklage vorkommt: ein sogenannter Schadenstisch Ende Juli 2015, bei dem Winterkorn und weiteren Top-Managern vorgerechnet worden sei, wie teuer der Skandal letztlich werden könnte.

In der deutschen Politik dürften die Vorwürfe der US-Justiz Wellen schlagen. „Dieselgate“ gilt als Keimzelle der großen Dieselkrise, die inzwischen die gesamte Autoindustrie erfasst hat – mit Folgen wie massiven Wertverlusten und der Debatte um Fahrverbote. Im Untersuchungsausschuss des Bundestags hatte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) ausgesagt, erst aus den Medien erfahren zu haben, dass bei VW etwas im Argen liegt.

       Da war Winterkorns Welt noch in Ordnung: Im März 2013 präsentierte der damalige VW-Chef in Wolfsburg gute Zahlen und neue Autos. Kanzlerin Angela Merkel durfte mal Probe sitzen.

Da war Winterkorns Welt noch in Ordnung: Im März 2013 präsentierte der damalige VW-Chef in Wolfsburg gute Zahlen und neue Autos. Kanzlerin Angela Merkel durfte mal Probe sitzen.

Foto: dpa/Julian Stratenschulte

Winterkorn selbst hatte dort erneut versichert, von den Manipulationen nichts gewusst zu haben. Er sei „ja kein Software-Ingenieur“, hatte der Manager mit Jahresgehältern bis zu 17 Millionen Euro erklärt. Jetzt kehrt das Desaster zu ihm zurück – mit Vollgas.

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