"Morgen geh isch Kino"

Berlin. Wenn Lili Döbler (16), die in Berlin-Schöneberg das Sophie-Scholl-Gymnasium besucht, in ihre elfte Klasse kommt, betritt sie in eine andere Sprachwelt. Wollen die Jungs ihre Stärke zeigen, frozzeln sie einander an: "Hey, was willst du?" Kommt eine aggressive Antwort, heißt es: "Komm doch her, Einzelkampf", und die Fäuste werden schon mal gehoben

Berlin. Wenn Lili Döbler (16), die in Berlin-Schöneberg das Sophie-Scholl-Gymnasium besucht, in ihre elfte Klasse kommt, betritt sie in eine andere Sprachwelt. Wollen die Jungs ihre Stärke zeigen, frozzeln sie einander an: "Hey, was willst du?" Kommt eine aggressive Antwort, heißt es: "Komm doch her, Einzelkampf", und die Fäuste werden schon mal gehoben. Schiebt sich einer verspielt hinter eine korpulente Mitschülerin, wird gehöhnt: "Kommst du vorbei? Fette Bombe." Und wenn das Mädchen kreischt, heißt es: "Isch mach dich Bombe!" Oder gleich: "Isch mach dich Krankenhaus!"Es ist kein blutiger Ernst, es geht auch nicht um den Sinn der Worte, sondern um das Spiel mit den Wörtern. Lili erzählt von einer Mitschülerin, die immer Hochdeutsch gesprochen habe. Dann verliebte sie sich in einen Kurden, wurde in seinen Freundeskreis aufgenommen. "Inzwischen spricht sie nur noch wie ihre Freunde", sagt Lili. "Wenn ihr etwas ernst ist, sagt sie 'Isch schwör auf meine Mutter 'Mann, nerv mich nicht!'"

Spiel mit der Sprache

Kiezdeutsch, wie Wissenschaftler die Sprache nennen, die grammatikalische Grundregeln außer Kraft setzt und mit drolligen Metaphern daherkommt, wurde lange nur in Vierteln von Großstädten verortet, in denen viele Mitbürger mit Migrationshintergrund leben. Es kommt von dort, hat aber inzwischen die Schulen erreicht, die Clubs und Diskos, ist auf den Straßen, in Nahverkehrsmitteln und im Fernsehen zu hören. Eine bunte, vielfältige Alltagssprache mit nur wenigen Gemeinsamkeiten. "Ich" wird aber immer zu "Isch". Jugendliche, für die Deutsch Muttersprache ist, übernehmen den lakonischen Jargon, weil sie ihn lustig finden.

"Isch geh jetzt Park, wallah!" Das ist nicht nur eine Mischung aus Deutsch und Arabisch. Die Germanistik-Professorin Heike Wiese, die am Zentrum "Sprache, Variation und Migration" der Universität Potsdam forscht, sieht darin einen "Multiethnolekt". Einfacher: Kiezdeutsch. "Ein neuer deutscher Dialekt", sagt sie, "mit dialektalen Eigenarten in Aussprache, Wortschatz und Grammatik." "Wallah" heißt im Arabischen "bei Allah", aber im Sinne von "wahr" und "echt". Dass auch Jugendliche, die ausschließlich Deutsch als Muttersprache haben, "Wallah" rufen oder "Komm mal her, Lan" ("Lan" heißt im Türkischen "Kerl") ist laut Heike Wiese "ein Gemeinschaftsprojekt. Fast alle Jugendlichen, die Kiezdeutsch sprechen, sind in Deutschland geboren. Sie sprechen mit ihren Eltern noch zusätzlich Türkisch, Kurdisch oder Arabisch. Mehrsprachige Jugendliche sind offener für Sprachspielereien und sprachliche Veränderungen."

Die Germanistin, die ihr Sprachprojekt "Lassma Sprache erforschen" nannte, bezeichnet Kiezdeutsch als "Turbo-Dialekt, in dem grammatisch besonders viel passiert. Der Dialektbegriff in der internationalen Sprachforschung wird nicht mehr nach Regionen unterschieden, sondern allgemeiner verstanden. Aber dieser neue Dialekt ist fest im Deutschen verankert." Das mache unsere Sprache reicher, abwechslungsreicher. Heike Wiese kam an das Thema, weil sie in Kreuzberg wohnt. Dort ist der Soziolekt allgegenwärtig. 2009 organisierte sie eine Tagung, es folgte eine Studie. Die wichtigste Erkenntnis der Expertin: "Kiezdeutsch verkürzt und erweitert die Grammatik." Wie alle Dialekte, die dem Standarddeutschen ein Schnippchen schlagen. Der Bayer sagt "Schleich di, du Saupreiß, sonst fangst oane" und meint den Berliner, der Sachse "gloobt es ne", der Schwabe grüßt "Adele" und der Rheinländer spricht Platt.

Ist es nicht eine Gefahr, dass die, die Kiezdeutsch sprechen, das Hochdeutsch vergessen? Nein, glaubt Heike Wiese. "Kiezdeutsch verletzt keine grammatikalischen Strukturen." Das Deutsch des Dudens werde vom "lebendigen Deutsch" nicht verdrängt. Kiezdeutsch kommt auch vorwiegend nur im Freundeskreis zum Einsatz.

Flirten mit Kiezdeutsch

"Wir sind jetzt neues Thema" oder "Morgen geh isch Kino" - ein Jugendphänomen. Teenager wollen zu einer Gruppe Gleichaltriger gehören und sich von den Älteren abgrenzen. Ihr Jugendslang wird mitunter als provokativ empfunden, aber das ist eine soziale Bewertung. Selbst bullige Ausdrücke wie "Isch mach dich Messer" sind keine Gangstersprache, sondern ironisch grundiert. Es geht darum, witzig zu sein, und beim Flirten, so Heike Wiese, macht sich Kiezdeutsch besonders gut. Sagt der Junge, der sich für eine Mitschülerin interessiert: "Die hübschesten Frauen kommen von den Schweden. Isch meine so blond so." Antwortet das Mädchen: "Musstu du hier anhalten." Dann lachen beide und schauen sich dabei erwartungsvoll in die Augen. Bis er fragt: "Gibs auch ne Abkürzung?" Und schon schieben die beiden fröhlich ab - während ein Erwachsener ratlos zurückbleibt.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort