Mord an Polizistin Kiesewetter wird immer mysteriöser

Stuttgart · Haben die Ermittler alles getan, um die Verbindungen der Rechtsterroristen nach Baden-Württemberg und den Mord an der Polizistin Kiesewetter aufzuklären? Nach den ersten Sitzungen des NSU-Ausschusses in Stuttgart gibt es daran erhebliche Zweifel.

Am 25. April 2007 fallen Schüsse in Heilbronn . Die Polizistin Michèle Kiesewetter stirbt, ihr Kollege wird lebensgefährlich verletzt. Die Bundesanwaltschaft schreibt die Tat dem "Nationalsozialistischen Untergrund" (NSU) zu und hält die NSU-Mitglieder Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt für die Schützen. Kiesewetter sei ein Zufallsopfer gewesen und als Vertreterin des vom NSU gehassten Staates getötet worden, zeigen sich die Ermittler überzeugt. Aber der Mord passte nie in die Mordserie, der ansonsten neun Kleinunternehmer ausländischer Herkunft zum Opfer fielen.

Seit Januar arbeitet ein NSU-Untersuchungsausschuss im Stuttgarter Landtag die Bezüge der Rechtsterroristen nach Baden-Württemberg und mögliches Behördenversagen auf. Bis dahin hieß es, dass der Mord an Kiesewetter zwar rätselhaft bleibe, es aber keine neuen Ermittlungsansätze gebe. "Anhaltspunkte für eine Beteiligung ortskundiger Dritter oder eine mit dem NSU vernetzte Organisation haben die Ermittlungen nicht ergeben", fasste die von Innenminister Reinhold Gall (SPD ) eingesetzte Ermittlungsgruppe "Umfeld" Anfang 2014 den Stand der Dinge noch einmal zusammen. Gall erklärte, dass er sich allenfalls von dem in München laufenden Prozess gegen das NSU-Mitglied Beate Zschäpe noch neue Erkenntnisse verspreche.

Kannte Florian H. den Mörder ?

Mit den ersten Ausschusssitzungen ist die Glaubwürdigkeit der Ermittler aber erheblich ins Wanken geraten. Grund dafür ist ihr Umgang mit dem Tod eines Aussteigers aus der rechten Szene. Florian H. verbrannte im September 2013 in einem Wagen in Stuttgart - und zwar an dem Tag, an dem er noch einmal vor der Polizei aussagen sollte. Florian soll zuvor erklärt haben, er kenne Kiesewetters Mörder . Die Familie glaubt, dass Florian in den Tod getrieben oder ermordet wurde.

Trotz dieses brisanten Hintergrundes tat die Polizei Florians Tod schnell als Suizid ab und interessierte sich auch nicht für seine Computer oder Handys. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart und der Generalbundesanwalt lehnten damals Maßnahmen wie etwa die Durchsuchung von Florians Zimmer in der Wohnung seiner Eltern ab. Florians Familie bewahrte den Wagen vor dem Verschrotten und fand darin nach eigenen Angaben eine Pistole, eine Machete und einen seit langem vermissten Schlüsselbund. Die Ausschussmitglieder sind entsetzt - sie glaubten, die Kriminaltechnik habe den Wagen gründlich untersucht. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart nahm deswegen das im April 2014 eingestellte Todesermittlungsverfahren wieder auf. Grund seien neue Erkenntnisse, die im NSU-Untersuchungsausschuss zutage gefördert worden waren.

Viele Fragezeichen

Zudem identifizierte die Polizei nun doch noch einen Mann namens "Matze", mit dem Florian in der Szene unterwegs war. Florian will Anfang 2010 in Öhringen östlich von Heilbronn an einem Treffen teilgenommen haben, bei dem der NSU und eine "Neoschutzstaffel" (NSS) vorgestellt worden seien. "Matze" soll ein NSS-Tattoo tragen. Und Florian hatte nach Angaben seiner Familie angedeutet, dass "Matze" etwas mit dem NSU und dem Kiesewetter-Mord zu tun hat.

Beweise für die Existenz einer NSS sehen die Ermittler bislang zwar nicht. Aber dass die Polizei die Dinge ausermittelt hat, glaubt auch kaum noch jemand. Minister Gall wägt seine Worte nun vorsichtiger. Die komplexen Vorgänge hätten auch bei ihm viele Fragezeichen zurückgelassen. "Wenn es dem Untersuchungsausschuss gelingt, Fragezeichen mit Antworten zu versehen, dann bin ich darüber so froh wie viele andere auch." Von Versäumnissen spricht er nicht.

Der frühere FDP-Obmann im Bundestags-Untersuchungsausschuss zum NSU, Hartfrid Wolff, stellt die baden-württembergische Polizei hingegen in eine Reihe mit anderen Behörden, die in Sachen NSU versagt haben.

Der NSU-Ausschuss in Stuttgart ist noch ganz am Anfang seiner Arbeit. Mit dem Komplex Kiesewetter beschäftigt sich das Gremium erst in einigen Wochen näher. Aber das, was bislang ans Licht kam, lässt bei Beobachtern das Gefühl zurück: Da könnte noch einiges mehr kommen.

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