60 Jahre Verkehrssünderdatei Mit Vollgas in die Punktekartei

Flensburg/Saarbrücken · Autofahrer verwechseln die Straße oft mit einer Rennstrecke. Seit 60 Jahren führt der Weg dann ins Verkehrssünder-Register.

 Ein Mitarbeiter des Verkehrszentralregisters zieht im Kraftfahrt-Bundesamt in Flensburg eine Akte aus dem Regal.

Ein Mitarbeiter des Verkehrszentralregisters zieht im Kraftfahrt-Bundesamt in Flensburg eine Akte aus dem Regal.

Foto: dpa/Carsten Rehder

Es ist Mitte Juli, Urlaubszeit in Deutschland. Auf der Autobahn wird ein Wohnwagengespann von der Polizei gestoppt. Mit 140 Stundenkilometern anstatt erlaubtem Tempo 80 ist es über die Autobahn gerast. Die Folge: Fahrverbot, Bußgeld und Punkte in Flensburg. So ähnlich wie diesem Urlauber geht es jährlich vielen Autofahrern. Hier wird jemand geblitzt, dort ein anderer mit dem Handy am Steuer erwischt.

Wenn auch in den meisten Fällen kein Fahrverbot ausgesprochen wird, werden sie alle in einer Datei registriert, deren Einrichtung vor 60 Jahren mit Zustimmung von Bundestag und Bundesrat am 25. Juli 1957 per Verordnung auf den Weg gebracht wurde. Die Arbeit nahm das „Verkehrszentralregister“ dann wenige Monate später, am 2. Januar 1958, beim Kraftfahrtbundesamt (auch: Kraftfahrt-Bundesamt/KBA) in Flensburg auf. Der Grund: Der Autoverkehr nahm im Wirtschaftswunderland Bundesrepublik Deutschland rasant zu, die Zahl der schweren Unfälle auch.

Nach Angaben des Kraftfahrt-Bundesamtes hatte 2015 etwa jeder zehnte Einwohner Deutschlands einen Eintrag im Fahreignungsregister. Von den 8,6 Millionen Punkte-Inhabern waren etwa 6,7 Millionen Männer. Die meisten Einträge gab es wegen Geschwindigkeitsverstößen: bei Männern waren es 3,8 Millionen, bei Frauen 1,1 Millionen.

Die Saarländer scheinen seltener mit Bleifuß unterwegs zu sein als andere Deutsche. Hierzulande hat nur jeder Zwölfte ein oder mehrere Punkte in Flensburg. Von den 79 000  finden Frauen (19 000) deutlich weniger Einzug in die Kartei als Männer. Geschlechtsübergreifend ist auch hier der Hauptgrund Rasen. 

In den ersten Jahren des Verkehrszentralregisters hat es dafür übrigens noch keine Punkte gegeben, bestätigt KBA-Sprecher Stephan Immen. In der Verkehrssünderdatei registriert wurde zunächst nur, wenn jemandem die Fahrerlaubnis versagt oder entzogen wurde. Erst 1974 wurde das Punktesystem mit seinem präventiven Charakter eingeführt – aus einem traurigen Grund: Anfang der 70er Jahre waren nach Angaben des Statistischen Bundesamtes Rekordwerte von mehr als 21 000 Verkehrstote zu beklagen. Bei einem Fahrzeugbestand von 20,8 Millionen Fahrzeugen bedeutete dies statistisch gesehen 102 Tote pro 100 000 Fahrzeuge jährlich.

Heute fahren gut 55 Millionen Autos, Lkw und Motorräder auf Saarbrücker, Berliner oder Münchner Straßen, die Zahl der Verkehrstoten hat sich im Vergleich zu den 70er Jahren bundesweit deutlich auf 3206 (2016) reduziert. „Das Verkehrszentralregister hat dazu einen erheblichen Beitrag geleistet“, so Immen.

Ein solches Register sei eine gute Idee, sagt auch der Verkehrspsychologe Rüdiger Born in Hamburg. Dass den Punktezählern in Flensburg bald die Arbeit ausgehen wird, glaubt der Geschäftsführer des Bundesverbandes niedergelassener Verkehrspsychologen nicht. „Es ist ja nicht naturgegeben, sich an Regeln zu halten.“ Viele Menschen bekämen in ihrer Autofahrerkarriere mal einen Punkt. „Die überwiegende Zahl der Einträge wird innerhalb einiger Jahre aber wieder gelöscht.“ Sprich, der Autofahrer lerne dazu und halte sich eher an die Regeln, weil er weitere Punkte vermeiden wolle. Der Eintrag ist schnell wieder gelöscht. Um so viele Punkte zu sammeln, bis der Führerschein entzogen wird, brauche es eine „große Beharrlichkeit“, sagt Born.

In manchen Regionen Deutschlands ist die Lernkurve aber weniger steil als in anderen. So sind die Rostocker die Punkte-Könige der Republik. Nach einer Statistik von Check24.de sind 9,5 Prozent der Autofahrer in der Hansestadt des Ostens Mitglied in der Verkehrssünder-Datei. In keiner anderen deutschen Stadt sind es so viele. Auf Platz zwei und drei landen übrigens die Leipziger (8,8 Prozent) und Erfurter (8,1 Prozent). Saarbrücken taucht hier erst auf Platz 44 auf und damit klar unter dem Bundesschnitt von 5,7 Prozent.

Ob es ohne das Register mehr (tödliche) Unfälle und Regelverstöße in den Städten gäbe, lässt sich schwer sagen. „Die wenigsten Unfälle werden mit Vorsatz verursacht“, heißt es beim ADAC. Auch jetzt komme es immer wieder zu schweren Regelverstößen. „Dabei spielt häufig die Illusion eine große Rolle, jede Situation unter Kontrolle haben zu können.“

Dennoch ist die Verkehrssünderdatei oder das Fahreignungsregister, wie es seit 2014 offiziell heißt, auch nach Ansicht des Automobilclubs ein wichtiges Instrument, weil es auch einen pädagogischen Ansatz habe. „Das Fahreignungsregister dient dem Zweck, riskantes Verhalten zu reflektieren und insbesondere Mehrfachtäter entsprechenden Maßnahmen zuzuführen“, so die Meinung in München. Damit es etwa zum Führerscheinentzug gar nicht erst kommt, könnten die Betroffenen ihr Verhalten ja ändern.

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