Mit dem Mut der Verzweiflung

Warschau · Sie kämpften gegen eine hundertfache Übermacht, warteten vergeblich auf Unterstützung der Alliierten und anderer Widerstandskämpfer: Am 19. April 1943 begann der jüdische Aufstand im Warschauer Ghetto.

Als deutsche SS-Männer im Morgengrauen des 19. April 1943 das Warschauer Ghetto betraten, um mit der letzten großen "Aktion", der Deportation der Ghetto-Bevölkerung in die Vernichtungslager, zu beginnen, fielen Schüsse. Doch diesmal schossen nicht die Deutschen, sondern jüdische Widerstandskämpfer. Der Morgen des jüdischen Pessachfestes markierte vor 70 Jahren den Beginn des Warschauer Ghetto-Aufstands.

Fast einen Monat lang kämpften die jungen Männer und Frauen der jüdischen Kampforganisation ZOB gegen die zahlenmäßig weit überlegenen und besser ausgerüsteten Deutschen und deren Helfer. Sie wollten lieber kämpfend sterben als in den Todeslagern. Und sie hofften, dass ihr aussichtsloser Kampf eine Chance haben könnte, wenn sie nur Unterstützung und Waffen von der polnischen Untergrundbewegung oder von den Alliierten erhielten. Doch das passierte nicht. Und die in Bunkern versteckte Ghetto-Bevölkerung drohte in Flammen und Rauch zu ersticken.

"Es war unerträglich heiß im Bunker, also flohen wir in die Kanalisation", erinnert sich Krystyna Budnicka, die als Elfjährige den Aufstand erlebte. Drei ihrer Brüder kämpften mit den Aufständischen. "Aber als die Deutschen erkannten, dass die Menschen durch die Kanalisation auf die arische Seite flohen, warteten an jedem Ausgang Soldaten, die auf jeden schossen, der herauskam. In der Kanalisation schwammen Leichen und Ratten. Es war schrecklich."

Für Hunderte Menschen waren die Kanäle dennoch die einzige Rettung aus dem brennenden Ghetto. Auch Marek Edelman, einer der Anführer der Kämpfer, konnte so auf die "arische Seite" fliehen, nachdem die Mehrheit der von den Deutschen umzingelten ZOB-Führung am 8. Mai 1943 im Bunker in der Mila-Straße Selbstmord begangen hatte. Wenige Tage später nahm sich in London der polnisch-jüdische Politiker Samuel Zygelbojm das Leben, ein Mitglied der polnischen Exilregierung. "Ich kann nicht weiterleben, während die letzten Vertreter der polnischen Juden vernichtet werden", schrieb er in seinem Abschiedsbrief. Sein Tod sei ein Protest "gegen die Passivität, mit der die Welt der Ausrottung des jüdischen Volkes" zusehe.

Die blutige Niederschlagung des Aufstands besiegelte auch das Schicksal der meisten bis dahin überlebenden Warschauer Juden, die vor dem Krieg ein Drittel der Bevölkerung stellten. Tausende wurden erschossen oder in die Todeslager deportiert. Der Widerstand war da längst zum Symbol jüdischen Mutes und Kampfgeistes geworden - er steht für Menschen, die nicht tatenlos den Massenmord der Nazis hinnehmen wollten.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort