Milliardenfalle Mutterschutz?

Brüssel/Straßburg. Es klingt nach einer familiären Idylle ohne Beispiel, die das Europäische Parlament morgen herstellen will: 20 Wochen darf die junge Mutter künftig bei ihrem neugeborenen Baby zuhause bleiben, anschließend auch der Vater noch zwei Wochen. Bei vollem Gehalt. Beamtinnen und Selbstständige eingeschlossen

Brüssel/Straßburg. Es klingt nach einer familiären Idylle ohne Beispiel, die das Europäische Parlament morgen herstellen will: 20 Wochen darf die junge Mutter künftig bei ihrem neugeborenen Baby zuhause bleiben, anschließend auch der Vater noch zwei Wochen. Bei vollem Gehalt. Beamtinnen und Selbstständige eingeschlossen. Woher das Geld kommt, ist nicht nur für die Freiberufler noch ungewiss. Der verantwortliche Frauenausschuss der Straßburger Volksvertretung hat sich um solche Nebensächlichkeiten nicht gekümmert. Man will nur, dass alle Mütter und Väter Europas endlich Zeit für den Nachwuchs haben.

Doch derart paradiesische Zustände sind Deutschland ein Dorn im Auge. 14 Wochen dürfen Mütter hierzulande den Mutterschutz genießen. In dieser Zeit zahlt die Krankenkasse 13 Euro pro Tag, der Arbeitgeber stockt das Geld bis zur Höhe des Nettogehaltes auf. Anschließend sind weitere Maßnahmen wie die Elternzeit möglich. "Deutschland braucht deshalb als Babyschutz-Europameister eine Ausnahmeregelung", sagt der CDU-Sozialexperte Thomas Mann. Ursprünglich war die Kommission, die vor zwei Jahren zunächst 18 Wochen Babypause vorgeschlagen hatte, dazu auch bereit. Doch dann legten die Parlamentarierinnen noch zwei Wochen drauf und strichen alle nationalen Sonderwege. Mit möglicherweise fatalen Folgen. "Ich bin besorgt darüber, dass die gut gemeinte Verlängerung schnell zu einem Einstellungshindernis werden könnte", sagt Europa-Politiker Mann.

Denn die Umsetzung des Beschlusses würde zahlreiche Leistungsträger massiv fordern. So müssten die Krankenkassen pro Jahr rund 218 Millionen Euro beim Mutterschaftsgeld drauflegen, der Bund weitere 30 Millionen, die Unternehmen noch einmal 405 Millionen. Die Ausdehnung der Schutzfristen auf Selbstständige kostet Deutschland etwa 490 Millionen Euro, wobei noch unklar ist, wer diese Summe eigentlich tragen soll. Der Vaterschaftsurlaub kostet noch einmal 470 Millionen. Hinzukommen etliche Millionen für die Beamtinnen und Selbstständigen, sodass unterm Strich Mehrkosten von 1,7 Milliarden Euro stünden. Das Bundesfamilienministerium hatte dies vom Fraunhofer-Institut ausrechnen lassen. Dabei sind weitere Einzelheiten noch unklar: Wie werden Mehrlingsgeburten und Adoptionen von Kindern unter einem Jahr behandelt? Wie sollen künftig die Nachteile durch Mutterschutzurlaub bei der Rente ausgeglichen werden?

Kein Wunder, dass die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) die Novellierung der Richtlinie in der vorliegenden Form "strikt ablehnt". Sogar die EU-Kommission selbst gibt zu, dass der Vorstoß "für die Mehrheit der Mitgliedstaaten große Belastungen mit sich bringt". Auf 20 Jahre gerechnet müssten Großbritannien mit 57 Milliarden und Frankreich mit 40 Milliarden Euro an zusätzlichen Leistungen rechnen. Nicht nur die deutschen Konservativen im Europa-Parlament sehen darin in der wirtschaftlichen Krise keine Möglichkeit.

Dennoch ist unsicher, ob das Paket morgen wirklich scheitert. Hinter den Kulissen hieß es, es mache sich "gar nicht gut, beim Mutterschutz eine harte Linie zu fahren". So rechnen Beobachter damit, dass die verlängerte Baby-Pause doch eine Mehrheit findet. Dies gilt als erträglich. Kritiker gehen davon aus, dass es bis zur endgültigen Lesung noch zu Nachbesserungen kommt.

Hintergrund

So werden Mütter in anderen Ländern geschützt:

Belgien: 14 Wochen Mutterschutz. In den ersten 30 Tagen gibt es 82 Prozent des Bruttoverdienstes, danach 75 beziehungsweise 60 Prozent. Estland: 140 Tage. Während der gesamten Zeit wird das volle Bruttogehalt weiter gezahlt. Frankreich: 16 Wochen (bei Zwillingen 34). Es gibt je nach Gehalt zwischen 8,09 Euro und 67,36 Euro je Tag.

Großbritannien und Irland: 26 Wochen. Der bisherige Verdienst wird weiter gezahlt, wenn die Mutter 15 Wochen vorher beim gleichen Arbeitgeber beschäftigt war. Tschechien: 28 Wochen und damit Europas Spitzenreiter. Mütter erhalten 69 Prozent des letzten Gehaltes. dr

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