SPD droht Debakel, CDU bibbert Merkel, Schulz und der Tag der Abrechnung

Berlin · Laut Umfragen droht der SPD eine historische Pleite. Doch auch für die Kanzlerin könnte der Wahlsonntag bitterer als gedacht enden.

Plötzlich treffen Angela Merkel und Martin Schulz doch nochmal aufeinander. Seinen trotzigen Ruf nach einem zweiten TV-Duell bügelte die Kanzlerin kürzlich zwar kühl ab. Am Freitag aber sitzt der SPD-Mann im ARD-Hauptstudio, einen Kopfhörer auf den Ohren. Er hört, wie eine aufgezeichnete Frage von „Dr. Angela Merkel“ abgespielt wird. Sie war am Vortag im selben Studio. Von Schulz will sie leicht spöttisch wissen, „wie man das alles bezahlen soll“, was die SPD bei Bildung, Rente, Pflege & Co. verspricht. Schulz wolle ja Überschüsse aus dem Haushalt nehmen: „Da muss ich ihm sagen, er hat leider keine.“

Schulz verzieht das Gesicht, als er das hört. „Frau Merkel hat unrecht!“ Und Schulz macht wirklich einen Punkt. Finanzminister Wolfgang Schäuble hat Schwarz auf Weiß ausgerechnet: Der Bund wird bis 2021 knapp 15 Milliarden Euro zur Verfügung haben, um Bürger zu entlasten oder neue Projekte zu finanzieren.

Nur was bringt Schulz das noch, keine 48 Stunden vor Öffnung der Wahllokale am Sonntagmorgen? Stimmen die jüngsten Umfragen, muss die SPD eine historische Demütigung befürchten. Es könnte noch tiefer runtergehen als 2009, als Frank-Walter Steinmeier nur 23 Prozent holte. Was dann im Willy-Brandt-Haus passiert, kann niemand seriös vorhersagen. Schützt Schulz der 100-Prozent-Panzer seiner Wahl zum Vorsitzenden im März vor einem Totalabsturz? Der 61-Jährige ist in der Partei unverändert beliebt. Die Genossen zollen ihm Respekt, wie er bis zur letzten Minute alles gibt – auch wenn die eher mäkelig daherkommende Gerechtigkeitskampagne wohl an der Stimmung im Land vorbeiging. Große persönliche Fehler kann man Schulz schwerlich vorhalten – anders als Peer Steinbrück, der vor vier Jahren in viele Fettnäpfchen trat und am Ende auf einem Magazin-Cover der Republik den Stinkefinger zeigte. Schulz sagt von sich, er sei ein „Streetfighter“. Kürzlich sagte er, er werde auf keinen Fall den Vorsitz aufgeben. Aber wann meldet sich bei Schulz womöglich die Selbstachtung? Unter 20 Prozent?

Die SPD-Führung will chaotische Abläufe am Wahlabend unbedingt vermeiden. Landeschefs, Ministerpräsidenten und Bundesminister wollen kommen. Seit Tagen wird Schulz, der sich akribisch auf den Auftritt nach 18 Uhr vorbereitet, von Parteifreunden mit SMS bombardiert. Ratschläge werden erteilt, Bündnisse angefragt. Die allermeisten Nachrichten bleiben unbeantwortet. Behalten alle die Nerven, könnte das Drehbuch so aussehen: Schulz gesteht die – vorausgesetzt die Umfragen treffen zu – schwere Niederlage ein, schmeißt aber nicht hin. Die SPD und er könnten im November oder Dezember noch für eine neue Groko gebraucht werden, wenn Union, FDP und Grüne Jamaika nicht hinbekommen. Darauf setzen auch Spitzengenossen wie Sigmar Gabriel und Thomas Oppermann, deren Karrieren beim Gang der SPD in die Opposition auslaufen würden.

Zahlt sich Schulz’ Kampfgeist noch aus, schnuppert er an der 25-Prozent-Marke und schmiert Merkel ab, könnte er den Fraktionsvorsitz beanspruchen – wie Steinmeier 2009. Gibt es klare Verhältnisse, reicht es für Schwarz-Gelb, wäre folgendes Szenario möglich: Schulz löst sich aus der „Freundschaft“ mit Gabriel, verbündet sich mit Andrea Nahles, die als Fraktionschefin für einen Neuaufbau in der Opposition stehen würde.

In der CDU-Spitze hoffen sie, dass die Demoskopen nicht total daneben liegen. Landet die Union bei 36 bis 37 Prozent, wäre das immerhin Merkels zweitbestes Ergebnis nach 41,5 Prozent 2013, heißt es vorsorglich. Fällt die Union dagegen unter die 33,8 Prozent aus dem Jahr 2009, dürfte nicht nur Horst Seehofer seine Zurückhaltung fahren lassen. Ganz schnell könnte der CSU-Chef klar machen wollen, wer die Verantwortung für ein mieses Ergebnis hat: Merkel mit ihrer Flüchtlingspolitik. Maximale Distanz wäre dann wohl angesagt, ein Jahr vor der wichtigen Landtagswahl in Bayern. Auch in den eigenen Reihen könnte die Frage nach Merkels Zukunft wieder lauter gestellt werden.

Damit das nicht passiert, rührt sie auf den letzten Drücker nochmal die Werbetrommel. An diesem Samstag ist die Parteichefin in ihrem Wahlkreis im Norden Mecklenburg-Vorpommerns unterwegs, wo ihr AfD-Landeschef Leif-Erik Holm das Direktmandat abjagen will. Am Sonntag ist Merkel dann zum Nichts­tun verdammt. Mittags gibt sie in einer Mensa des Studierendenwerks in Berlin ihre Stimme ab, dann fährt sie in die CDU-Zentrale. Jüngst hat sie verraten, dass ihr die Wartezeit gar nicht passt. Bis Samstag könne sie etwas tun, hatte sie gesagt. „Danach ist nur noch Warten und Gucken. Das ist wie Zeugnisvergabe.“

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