Rede im Bundestag Merkel hebelt Weidel aus – und begeistert
Berlin · Die Kanzlerin sucht im Bundestag den Konflikt mit den Rechtspopulisten und verteidigt den Migrationspakt. Die Folge: Riesenapplaus im Plenum.
Angela Merkel benötigt nur einen Satz, um die ganze vorausgegangene Rede der Oppositionsführerin Alice Weidel von der AfD auszuhebeln. „Das Schöne an freiheitlichen Debatten ist ja“, sagt die Kanzlerin gleich zu Beginn, sehr ruhig und fast genüsslich, „dass jeder über das spricht, was er für das Land für wichtig hält.“ Riesenbeifall im ganzen Haus, betretenes Schweigen bei der AfD. Denn Weidel hat fast drei Viertel ihrer Redezeit mit ihrer eigenen Spendenaffäre verbracht. Merkel hingegen redet über Deutschlands Zukunft. Und die der Welt. Es scheint, als habe die Kanzlerin und noch CDU-Chefin seit ihrer Rückzugsankündigung innere Bremsen gelockert. Schon bei ihrem Auftritt vor dem Europaparlament vergangene Woche fiel das auf. Sie wirbt mehr als früher um ihre Positionen, viel eindringlicher, und geht auch mehr in den direkten Clinch. Vor allem mit Nationalisten.
Hat die Bundesregierung das Thema Migrationspakt bisher öffentlich weitgehend den Rechtspopulisten überlassen, geht Merkel die Sache nun offensiv an. Eine Woche bevor der Bundestag ohnehin darüber debattiert. Unter hämischem Gelächter von Rechtsaußen wiederholt sie, dass das UN-Papier rechtlich nicht bindend sei. Und dass Deutschland die dort verlangten Standards für den Umgang mit Migranten und Flüchtlingen alle schon erfülle. Die Frage sei bei über 68 Millionen Flüchtlingen weltweit aber, „wie man menschlich mit illegaler Migration umgeht“. Und da sei es „in unserem nationalen Interesse, dass sich die Bedingungen für Flüchtlinge und Arbeitsmigranten verbessern“, sagt die Kanzlerin. „Dieser Pakt ist die richtige Antwort auf globale Probleme.“
Merkel wird nun grundsätzlich: Wer in der Welt alles allein lösen wolle und nur an sich denke, sei kein Patriot. „Das ist Nationalismus in reinster Form.“ Die AfD-Abgeordnete Beatrix von Storch ruft laut dazwischen: „In erster Linie haben Sie unsere Interessen zu vertreten!“, doch Merkel widerspricht sofort: „Deutsche Interessen heißt immer auch, die der anderen mitzudenken.“ Genau da verläuft die Konfliktlinie mit der AfD. Nicht nur seitens der Regierungschefin, sondern von allen Parteien. SPD-Mann Johannes Kahrs lobt die Kanzlerin euphorisch. In 20 Jahren Parlamentszugehörigkeit habe er das nicht getan, sagt er, aber jetzt müsse er mal sagen: „Ich kam aus dem Klatschen nicht mehr raus; es war eine wirklich gute, eine große Rede.“ Auch Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter flechtet in seine Kritik an der Klimaschutzpolitik der Koalition ein, dass die Kanzlerin „bemerkenswert“ gesprochen habe.
Ansonsten gibt es bei der diesjährigen Generaldebatte um den Kanzlerin-Etat noch folgende Erkenntnisse: AfD-Fraktionschefin Weidel ist in den eigenen Reihen nicht mehr unangefochten. Einige ihrer Abgeordneten klatschen nicht, als sie frei nach dem Motto „Angriff ist die beste Verteidigung“ die anderen Parteien für deren zurückliegenden Spendenaffären scharf attackiert. Und dass Co-Chef Alexander Gauland, sonst eher unemotional, seine angeschlagene Kollegin hinterher so innig umarmt, wirkt auch sehr gewollt.
Sichtbar ist auch, dass die FDP sehnsüchtig darauf wartet, möglichst bald über eine Neuauflage von Jamaika reden zu können. Partei- und Fraktionschef Christian Lindner sagt das fast direkt, als er darauf hinweist, dass nach den Wechseln im Parteivorsitz von CDU und CSU nun auch Wechsel im Kabinett fällig seien. Er meint die Kanzlerin. 2018 sei ein verlorenes Jahr gewesen, sagt er. „Hoffen wir auf 2019.“
Kaum zu übersehen ist auch die schlechte Verfassung der SPD. Ihre Chefin Andrea Nahles hält eine uninspirierte Rede, die alle sozialdemokratischen Themen durchgeht, aber nicht mal in den eigenen Reihen Feuer entfacht, wie der spärliche Beifall zeigt. Freilich, der Grüne Hofreiter und die Linke Sahra Wagenknecht sprechen kaum mitreißender. Bleibt die Erkenntnis, dass Merkel in diesem Bundestag noch immer Akzente setzen kann. Dann jedenfalls, wenn sie sich frei fühlt.