Mehr Orientierung bei der Ärztewahl

Berlin/Saarbrücken. Wegweiser zum richtigen Arzt? Seit gestern können 30 Millionen Versicherte der AOK und der Barmer GEK ihre Mediziner im Internet bewerten. Damit ist das größte unter den vielen Arzt-Bewertungsportalen gestartet. Wer einen Arzt sucht, kann sich dort orientieren

Berlin/Saarbrücken. Wegweiser zum richtigen Arzt? Seit gestern können 30 Millionen Versicherte der AOK und der Barmer GEK ihre Mediziner im Internet bewerten. Damit ist das größte unter den vielen Arzt-Bewertungsportalen gestartet. Wer einen Arzt sucht, kann sich dort orientieren. Die Ärzteverbände, die anfangs noch gegen das Vorhaben Sturm gelaufen waren, reagierten meist beruhigt, denn eine Hitliste der besten Ärzte oder gar einen "Daumen runter" wie in Casting-Shows gibt es nicht.Wenn sie eine Bewertung abgeben wollen, registrieren sich die Mitglieder der Krankenkassen unter Angabe ihrer Versichertennummer im Internet und können dann unter einem Pseudonym ihr Votum abgeben. Dafür wird ein Fragebogen mit 33 Fragen elektronisch ausgefüllt. Noten vergeben die Versicherten nicht, stattdessen kreuzen sie auf einer Skala zwischen "trifft voll und ganz zu" und "trifft überhaupt nicht zu" ihre Meinung an. Frei formulierbare Bewertungen sind aus Angst vor Missbräuchen und übler Nachrede nicht vorgesehen.

Als das Projekt vor zwei Jahren angekündigt wurde, warnte der Sprecher der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Roland Stahl, noch vor einem "digitalen Pranger". Gestern meinte er, nun bewerte man das Projekt "deutlich positiver". Die Bedenken und Anregungen der Ärzte seien aufgegriffen worden. Für die Patienten könne das Portal eine Orientierungshilfe sein, und die Ärzte könnten dort wertvolle Hinweise zur Verbesserung der eigenen Arbeit und Praxis bekommen. Wünschenswert sei nur, dass es nicht mehr so viele unterschiedliche Angebote gebe. Der Patientenbeauftragte der Bundesregierung, Wolfgang Zöller (CSU), sagte, er begrüße eine seriöse Arztsuche und faire Bewertung von Patienten für Patienten. Das gebe Arztsuchenden eine geeignete Hilfestellung. Alle patientenorientiert arbeitenden Ärzte würden von der Weiterempfehlung im Internet profitieren.

Dr. Joachim Meiser, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung im Saarland, sieht das Portal noch immer kritisch: "Es ist einfach die Frage, ob der medizinische Behandlungsprozess hier wirklich objektiv abgebildet werden kann. Das Verhältnis Arzt - Patient ist ein besonderes und nicht zu vergleichen mit dem Kauf einer Bohrmaschine im Baumarkt", sagt er. Meiser sieht das Portal eher als eine Marketingaktion der Krankenkassen, das verstärkt auf die junge Klientel abzielt. "Im Sinne der Versorgungsqualität wird das nicht viel bringen."

Dr. Eckart Rolshoven, Allgemeinmediziner in Püttlingen, sieht durchaus auch gute Aspekte in dem Portal: "Wenn ein Arzt dort mehrfach bescheinigt bekommt, dass er schlecht zuhört, ist das schon ein positives erzieherisches Mittel." Umgekehrt sieht er aber auch Risiken: "Wenn die Kasse dazu auffordert, die Hygiene in der Praxis zu beurteilen, ist das schon kritisch. Wir werden selbstverständlich vom Gewerbeaufsichtsamt kontrolliert. Eine negative Einzelmeinung kann aber sehr schädigen", sagt er. Das gelte weniger für Allgemeinmediziner mit langjährigen Patientenbeziehungen als für Fachärzte, die nur selten aufgesucht werden. Da könne eine negative Bewertung durchaus zum Problem werden. Allerdings können Ärzte einzelne Ergebnisse sperren lassen - ebenso wie eine gesamte Beurteilung. Außerdem haben sie die Möglichkeit, auf die Bewertung zu antworten oder auf Veränderungen hinzuweisen, etwa den Umbau der Praxis. Überhaupt sagt Rolshoven, sollte man die Bewertungen in den Portalen nicht überbewerten: "Wenn ein Arzt bei seiner täglichen Arbeit ständig die Internet-Bewertungen im Hinterkopf hat, dann hat er entweder nichts zu tun oder seinen Beruf falsch verstanden."

Sinn des Internet-Portals, das in Zusammenarbeit mit der Bertelsmann-Stiftung entstanden ist, ist letzlich mehr Transparenz bei der Arztsuche. Hat man einen geeigneten Arzt gefunden, erfährt man über einen Klick Adresse, Sprechzeiten sowie die Lage der Praxis.

aok.arztnavi.de

arztnavi.barmer-gek.de

weisse-liste.de/arzt

"Das Verhältnis Arzt-Patient ist nicht zu vergleichen mit dem Kauf einer Bohrmaschine."

Dr. Joachim Meiser

Meinung

Problem Anonymität

Von SZ-RedakteurJoachim Wollschläger

Arztsuche ist ein schwieriges Thema - gerade weil zwischen Patient und Arzt ein ganz besonders Vertrauensverhältnis besteht. Ob das Internet dabei letztlich eine echte Hilfestellung sein wird, bleibt abzuwarten. Denn das Problem ist hier ja vor allem, dass die Empfehlungen oder Warnungen anonym abgegeben werden. Und einer anonymen Gruppe trauen wir letztlich weniger als Empfehlungen aus dem Bekanntenkreis. Zwar unterscheidet sich das Portal der beiden Kassen durch seine Sachlichkeit angenehm von den übrigen Angeboten, bei denen sich in den Bewertungen offensichtlich auch Racheakte enttäuschter Patienten widerspiegeln. Letztlich wird es aber wohl bleiben wie bisher: Man probiert einen Arzt aus - und sieht erst dann, ob die Chemie stimmt.

Hintergrund

Der Fragebogen umfasst vier Komplexe: Praxis (Wie sauber ist es? Wie schnell bekommt man einen Termin?); Kommunikation des Arztes; Qualität und Gründlichkeit der Behandlung; Gesamteindruck. Im letzten Komplex ist die Frage, ob man den Arzt weiterempfehlen würde, ein wichtiger Bewertungsindikator. Gefragt wird in allen Kategorien nur nach Zufriedenheit, nicht nach Fakten und Details.

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