Brexit-Abstimmung Das Damoklesschwert eines „No Deal“

London · Theresa May glaubt noch daran, den Brexit-Deal durchs Parlament zu bekommen. Doch die Furcht vor einem ungeregelten Austritt wächst.

 Ihre Schicksalstage dauern an: Nach der Weihnachtspause hat Pemierministerin Theresa May die finale Brexit-Abstimmung angesetzt.

Ihre Schicksalstage dauern an: Nach der Weihnachtspause hat Pemierministerin Theresa May die finale Brexit-Abstimmung angesetzt.

Foto: dpa/Dominic Lipinski

Wenn sich Abend für Abend Abgeordnete und politische Beobachter auf den unzähligen stattfindenden Weihnachtsfeiern treffen, wird die derzeitige Krise Großbritanniens beinahe mit Humor betrachtet. „Es herrscht absolutes Chaos, aber das ist Teil des Spiels“, meinten etwa zwei Herren – ein Parlamentarier von der oppositionellen Labour-Partei, der andere von der schottischen SNP – Anfang der Woche bei einem Pint Bier. Trotzdem gehen am Donnerstag alle erst einmal in die Winterpause. Erst am 7. Januar kommt das Unterhaus wieder zusammen, rund eine Woche später soll dann die Abstimmung über den zwischen Brüssel und London ausgehandelten Bre­xit-Vertrag stattfinden.

Das ursprünglich für vergangene Woche angesetzte Votum hatte Premierministerin Theresa May wegen einer drohenden Niederlage verschoben. Sie nimmt damit auch ihr Problem ins neue Jahr mit. Denn noch immer sind die regierenden Konservativen in der Europa-Frage tief gespalten. Während die EU-Freunde ein erneutes Referendum fordern, werben die Brexit-Hardliner für eine ungeregelte Scheidung.

Dass das Parlament den auf dem Tisch liegenden Kompromiss billigt, scheint derweil zurzeit ausgeschlossen. Und so steigt das Risiko eines EU-Austritts ohne Abkommen. Die Regierung will deshalb nun die Vorsorgemaßnahmen erheblich erhöhen. Es handle sich bei den Vorbereitungen um eine „operative Priorität“, sagte gestern Brexit-Minister Stephen Barclay. Man werde verstärkt Informationen an Unternehmen und auf der Insel lebende EU-Bürger herausgeben. Zudem stünden 3500 Truppen der Armee in Bereitschaft, gab Verteidigungsminister Gavin Williamson bekannt.

Will die Regierung damit eine Drohkulisse für Brüssel aufbauen? Treiben die Briten „alberne politische Spiele“, indem sie das No-Deal-Szenario als Möglichkeit in Betracht ziehen, wie die Opposition moniert? Das Szenario jedenfalls gilt als Alptraum für die Wirtschaft.

Sollte das Land chaotisch aus der Gemeinschaft scheiden, würden unter anderem Zölle wieder eingeführt – was etwa große Auswirkungen auf den Hafen von Dover hätte. Während derzeit Lastwagen innerhalb von zwei Minuten abgefertigt werden, drohen bei einem „No-Deal“-Austritt längere Kontrollzeiten und damit kilometerlange Staus auf beiden Seiten des Kanals. Hinzu kommt, dass die vorherrschende Unsicherheit die Wirtschaft des Königreichs laut britischer Handelskammer ohnehin schon spürbar bremst. Für 2018 sei nur mit einem Wachstum des Bruttoinlandsproduktes von 1,2 Prozent zu rechnen, für 2019 geht die Wirtschaftsvereinigung von einer Steigerung von 1,3 Prozent aus.

Große Sorgen macht den Unternehmen aber vor allem das Damoklesschwert „No Deal“, das über der Insel schwebt. Dabei könnten die Folgen nicht nur für das Königreich katastrophal sein. Für den Fall eines ungeregelten Brexit rechnet der Deutsche Industrie- und Handelskammertag allein für deutsche Unternehmen mit bis zu zehn Millionen zusätzlicher Zollanmeldungen pro Jahr und mehr als 200 Millionen Euro an zusätzlichen Kosten durch die anfallende Zollbürokratie. Haben sich die deutschen Firmen dafür gut aufgestellt? Offenbar nicht alle. Bei einer Umfrage der Anwaltskanzlei Luther unter Konzernen kam heraus, dass 63 Prozent der befragten Unternehmen bislang noch nicht geprüft haben, welche Zertifizierungen und Zulassungen ihrer Produkte und Dienstleistungen mit dem Brexit ihre Gültigkeit verlieren. Dass es in diesem Fall keine Übergangsphase gibt, sei oft nicht bekannt, sagt der Leiter des Londoner Luther-Büros York, Alexander von Massenbach. „Aus dem Blickwinkel eines ‚typisch deutschen Pragmatismus‘ heraus hat man die Irrationalität des Brexit konsequent unterschätzt.“

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