Besuch in Italien Martin Schulz’ Ausflug in die Flüchtlingskrise

Catania/Rom · In Italien besucht der SPD-Spitzenmann Asylunterkünfte und fordert mehr Solidarität der EU. Kritiker werfen ihm „Wahlkampftourismus“ vor.

Andenken für den Polit-Besuch: Martin Schulz (r.) und seine italienischen Kollegen erhielten von den Flüchtlingen in Catania Körbe voller Gemüse.

Andenken für den Polit-Besuch: Martin Schulz (r.) und seine italienischen Kollegen erhielten von den Flüchtlingen in Catania Körbe voller Gemüse.

Foto: dpa/Kay Nietfeld

Menschen sitzen auf Schlauchbooten und schreien verzweifelt um Hilfe, andere schwimmen im Wasser, dem Ertrinken nahe. Das Video, das sich Martin Schulz auf einem Rettungsschiff der italienischen Küstenwache im Hafen von Catania anschaut, demonstriert eindrücklich die Realität vor den Toren Europas. Der SPD-Kanzlerkandidat ist an diesem Donnerstag zum Kurzbesuch in Italien. Er will die Flüchtlingskrise wieder auf die Agenda in Deutschland setzen – nicht ganz ohne Hintergedanken.

An dem Ort, an dem die Flaggschiffe der Küstenwache stehen, sind in diesem Jahr bereits tausende gerettete Migranten angekommen, erzählt Catanias Bürgermeister, Enzo Bianco, dem Besucher aus Deutschland. Dann zieht der Tross weiter. Schulz grüßt Hilfsorganisationen, sagt: „Tut mir leid, wir müssen weiter, Innenminister Minniti wartet.“ Wenige Stunden zuvor stand Schulz noch neben Italiens Regierungschef Paolo Gentiloni in Rom und warb für Solidarität in der Flüchtlingskrise. Italien im Schnelldurchlauf.

Seit Tagen müht sich Schulz, das Flüchtlingsthema nach vorne zu stellen und seine Konkurrentin im Kanzleramt so aus der Reserve zu locken. Es ist das heikelste Thema in der Union und der wunde Punkt in der Kanzlerschaft von Angela Merkel. Die CDU-Chefin hat es gerade so geschafft, nach dem erbitterten Flüchtlingsstreit mit der CSU die eigenen Reihen zu schließen. Auch in Europa rückte das Thema über längere Zeit in den Hintergrund. Eine trügerische Ruhe. Denn die Krise war nie weg, sie ist nur weiter entfernt als zuvor, ausgelagert an die EU-Außengrenzen.

Schulz will mit dem Thema im Wahlkampf punkten. Der SPD-Mann war lange EU-Parlamentspräsident, ist so etwas wie der „Mister Europa“ seiner Partei. Die Flüchtlingskrise in Europa hat Schulz aus Brüsseler Perspektive mitgemacht, er kennt sich aus. Aus seiner Erfahrung weiß Schulz aber auch um die Befindlichkeiten in der EU, um das zähe Ringen bei der Verteilung von Flüchtlingen und um das Fehlen einfacher Antworten.

„Viva l‘integrazione“, „Es lebe die Integration“, ruft eine Frau aus einem Haus neben einer Flüchtlingseinrichtung, die Schulz in Catania besucht. Viel hat die blitzeblank geputzte Unterkunft nicht mit der Realität von Migranten in Italien zu tun. Es gibt sogar einen Gemüsegarten, in dem Schulz und Bürgermeister Bianco Körbe voller Tomaten, Auberginen und Zucchinis in die Hand gedrückt bekommen. Die Flüchtlinge, um die es eigentlich gehen soll, beobachten die Szenerie, lachen zum Foto-Termin.

In Rom und Catania gibt Schulz den Kümmerer. Die meisten EU-Länder höre er sagen, Migration sei ein italienisches, deutsches oder griechisches Problem, damit habe man nichts zu tun. „Das geht so nicht“, sagt Schulz. Er will eine Botschaft dagegenstellen: Er spricht viel von Solidarität, wirbt für Veränderungen in der EU-Flüchtlingspolitik. Für seinen Kurzbesuch erntet Schulz Spott aus der Union – und den Vorwurf, sein Trip sei nichts anderes als „Wahlkampftourismus“. Davon will Schulz nichts wissen. Er kümmere sich seit vielen Jahren um die Flüchtlingspolitik, sagt er.

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