Interview Reiner Holznagel, Bund der Steuerzahler „Man darf noch lange nicht Entwarnung geben“

Berlin · Der Steuerzahlerpräsident mahnt trotz sprudelnder Staatskassen weitere Sparanstrengungen an – und warnt die Politik vor der Gefahr einer Zinswende.

 Die Schuldenuhr steht aktuell auf 1,97 Billionen Euro. Im Jahr 2012 stand sie bei 2,03 (im Bild).

Die Schuldenuhr steht aktuell auf 1,97 Billionen Euro. Im Jahr 2012 stand sie bei 2,03 (im Bild).

Foto: dpa/Robert Schlesinger

Um 58,4 Milliarden Euro oder 2,9 Prozent sind die Gesamtschulden des Staates, von Bund, Ländern, Kommunen und Sozialkassen, im letzten Jahr gesunken – auf immer noch 1,973 Billionen Euro. Bei Reiner Holznagel, Präsident des Bundes der Steuerzahler, kommt trotzdem kein Jubel auf.

Ist der Schuldenrückgang eine gute Nachricht für Sie?

HOLZNAGEL Ja, selbstverständlich. Aber man darf noch lange nicht Entwarnung geben. Der Rückgang der Verschuldung ist nicht auf eine aktive Politik zurückzuführen, sondern auf das Wirtschaftswachstum, die Steuermehreinnahmen und niedrige Zinsen.

Also keine strukturelle Besserung?

HOLZNAGEL In den Ländern gab es auch Beispiele einer echten Schuldentilgung. Im Bund ist der Rückgang der Schulden nur durch die niedrigen Zinsen gelungen. Kein Bundeshaushalt hat bisher eine aktive Schuldentilgung vorgesehen.

Warum sollte er auch, wenn der Anteil der Schulden am Bruttoinlandsprodukt durch die wachsende Wirtschaft automatisch sinkt? Demnächst unter 60 Prozent, das ist das Maastricht-Kriterium.

HOLZNAGEL Umgekehrt muss man sagen: Wir erreichen das Maastricht-Kriterium ausschließlich aufgrund des guten Wachstums. Das ist alles andere als eine ambitionierte Haushaltspolitik. Hier nimmt man schlicht und einfach die gute Situation mit und lässt sich feiern. Nur: Sobald es eine Zinswende gibt, haben der Bundesfinanzminister und seine Länderkollegen ein echtes Problem. 1,93 Billionen Euro sind eine wahnsinnige Summe. Schon jetzt beträgt die Zinslast im Bundeshaushalt jedes Jahr fast 20 Milliarden Euro.

Was sind Ihre Erwartungen an die Sondierer von Union und SPD?

HOLZNAGEL Die sprudelnden Steuerquellen dürfen auf gar keinen Fall zu einem euphorischen Zustand führen. Notwendig sind Steuerentlastungen, auch der Abbau des Solidaritätszuschlages. Zweitens müssen die Haushalte weiter konsolidiert werden. Dafür sind auch Sparmaßnahmen notwendig, denn es gibt wachsende Lasten, etwa die Zuweisungen an die Kommunen oder die Rücklagen für die Beamten. Eine Koalition muss auch in guten Zeiten die Kraft aufbringen, Subventionen abzubauen. Gerade in den guten Zeiten. Und drittens muss auch der Bund endlich aktiv Schulden tilgen.

Ihre Schuldenuhr in Berlin geht falsch. Sie dreht sich um 58 Euro pro Sekunde nach oben.

HOLZNAGEL Sie geht nicht falsch. Sie spiegelt die geltende politische Realität ab. Wir haben die in den Landeshaushalten für dieses Jahr bereits erteilten Kreditermächtigungen berücksichtigt. Zwar werden nicht alle Länder davon auch Gebrauch machen, aber noch ist das Jahr ja nicht zu Ende. Zum 1. Januar werden wir die Schuldenuhr allerdings umstellen. Sie wird dann rückwärts laufen.

Eine Schuldenuhr, die rückwärts läuft, taugt nicht viel als Protestinstrument.

HOLZNAGEL Man kann das auch andersherum sehen. Stellen Sie sich vor, die neue Regierung oder mehrere Bundesländer fangen wieder mit neuen Schulden an, und wir müssen unsere Uhr dann doch wieder hochlaufen lassen. Das gibt dann einen richtigen Aufschrei. Die rückwärtslaufende Uhr baut Druck auf, bei einer sparsamen Haushaltspolitik zu bleiben.

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