Goslar/Saarbrücken Lebensgefahr im toten Winkel

Goslar/Saarbrücken · Um die Zahl der Toten im Straßenverkehr zu senken, fordern Experten eine verpflichtende Ausrüstung von Lkw mit Abbiege-Assistenten.

 Eine alltägliche, aber dennoch lebensbedrohliche Situation: Immer wieder sterben in Deutschland Radfahrer, weil sie von abbiegenden Lastwagen übersehen werden.

Eine alltägliche, aber dennoch lebensbedrohliche Situation: Immer wieder sterben in Deutschland Radfahrer, weil sie von abbiegenden Lastwagen übersehen werden.

Foto: dpa/Klaus-Dietmar Gabbert

Der schwere Lastwagen will nach rechts abbiegen, doch an diesem Aprilabend macht der Fahrer auf einer Hauptstraße in Hannover einen folgenschweren Fehler: Er übersieht beim Abbiegen einen jungen Radfahrer im toten Winkel. Es kommt zur Kollision, der elf Jahre alte Junge stirbt vor den Augen seiner Mutter.

Auch im Saarland machen solche Abbiege-Unfälle immer wieder Schlagzeilen, wie beispielsweise Ende 2017. Ein Laster überrollte in Dudweiler eine 79-Jährige. Die Frau starb. Wenige Monate zuvor, im Mai, übersah ein Lkw-Fahrer beim Abbiegen in Völklingen eine Frau – auch sie überlebte nicht.

Nach Angaben des Automobilclubs ACE kommen jedes Jahr Dutzende Radfahrer in Deutschland auf diese Weise ums Leben. Das müsste nicht sein, glauben Experten. „Wenn alle Lkw mit Abbiege-Assistenten ausgerüstet wären, könnte das pro Jahr 30 Menschenleben retten“, sagt Siegfried Brockmann von der Unfallforschung der Versicherer (UDV). Der UDV-Chef will sich deshalb beim 57. Deutschen Verkehrsgerichtstag (VGT) im niedersächsischen Goslar dafür stark machen, dass Abbiege-Assistenzsysteme in alle Lastwagen und Busse eingebaut werden müssen.

Nach Angaben des ADAC kommen in Deutschland jedes Jahr rund 900 Menschen bei Unfällen unter Beteiligung von Lastern und Bussen ums Leben, etwa 8500 werden schwer verletzt. Beim VGT, zu dem ab Mittwoch rund 2000 Verkehrsexperten erwartet werden, soll unter anderem über Möglichkeiten diskutiert werden, diese Zahlen zu senken. Abbiege-Assistenten seien eine Möglichkeit, meint Unfallforscher Brockmann. „Sie können Radfahrer und Fußgänger im toten Winkel rechtzeitig erkennen und den Fahrer warnen“, sagt der UDV-Leiter. „Sie sollten daher gesetzlich verpflichtend in jeden neuen Lkw eingebaut und in allen älteren Lkw nachgerüstet werden.“ Die Kosten lägen bei jeweils rund 1000 Euro.

Bei den Automobilclubs stößt die Forderung auf breite Zustimmung. „Ein Großteil der durch schwere Lkw verursachten Abbiegeunfälle ist vermeidbar“, sagt Herbert Engelmohr vom AvD. Auch der ADAC plädiert für einen verpflichtenden Einbau der Abbiege-Assistenten. Die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) setzt sich ebenfalls für den verpflichtenden Einbau der Systeme ein.

Die derzeit verfügbaren Abbiege-Assistenzsysteme haben nach Einschätzung des Deutschen Verkehrssicherheitsrats (DVR) allerdings „eine relativ hohe Fehlerquote“. Die Industrie müsse deshalb mit Priorität an den Weiterentwicklung arbeiten, fordert Sprecherin Julia Fohmann.

Unabhängig davon appelliert der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (ADFC) an die Kommunen, nicht bis zu einer möglichen gesetzlichen Regelung zu warten. Stattdessen sollten alle Müll- und Straßenreinigungsfahrzeuge zugunsten der Radfahr-Sicherheit schnellstmöglich freiwillig mit Abbiege-Assistenten ausgerüstet werden. Bund und Länder forderte der ADFC auf, ihre Lkw-Flotten ebenfalls nachzurüsten.

Mindestens genauso wichtig wäre nach Einschätzung vieler Experten der Einbau der jüngsten Generation von Notbremssystemen. Neu zugelassene Lkw müssen zwar seit Ende 2015 mit Notbrems-Assistenten ausgestattet sein. „Trotzdem sterben auf der Autobahn immer wieder Menschen, weil abgelenkte oder übermüdete Lkw-Fahrer ungebremst in ein Stauende hineinfahren“, sagt Unfallforscher Brockmann. Neueste Brems-Systeme könnten dies verhindern, weil sie anders als ältere Geräte Lkw vor stehenden Hindernissen bis zum Stillstand abbremsen können.

Der ADAC fordert ebenfalls Verbesserungen: Die Systeme dürften nicht mehr abschaltbar sein, sagt ein Sprecher. Und sie sollten in der Lage sein, auch Auffahrunfälle auf stehende Fahrzeuge zu vermeiden. Nach Darstellung des ACE könnten Notbrems-Assistenten der neuesten Generation rund 80 Prozent dieser Kollisionen verhindern.

„In der Praxis wird man häufig mit drastischen Unfällen konfrontiert, die meist auf menschliches Fehlverhalten oder mangelnde technische Ausrüstung zurückzuführen sind“, sagt Rechtsanwältin Nicola Meier-van Laak von der Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht im Deutschen Anwaltverein (DAV). Auch ihr Verband fordere daher den obligatorischen Einbau sowohl von Abbiege- wie Notbrems-Assistenten.

Beim Bundesverband Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung (BGL) sieht man es ähnlich. „Fahrassistenz-Systeme, insbesondere Notbrems-Assistenten und elektronische Abbiege-Assistenten, müssen zur Steigerung der Verkehrssicherheit konsequent eingesetzt und weiterentwickelt werden“, erklärt BGL-Abteilungsleiter Guido Belger in seiner Stellungnahme zum Verkehrsgerichtstag.

Nach Vorstellungen des Verkehrssicherheitsrats sollten nicht nur Lastwagen Notbrems-Assistenten haben. „Auch Pkw und leichte Nutzfahrzeuge sollten zukünftig verpflichtend damit ausgestattet sein“, sagt Sprecherin Fohmann.

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