Lauschangriff trifft Elysée-Palast

Paris · Jahrelang soll der US-Geheimdienst NSA die französischen Präsidenten ausspioniert haben. In den Protokollen, die die Enthüllungsplattform Wikileaks veröffentlichte, äußert sich Präsident Hollande wenig schmeichelhaft über Angela Merkel.

Dass der US-Geheimdienst NSA die Beziehungen zwischen Staaten vergiften kann, weiß die Bundesregierung am besten. Denn das Abhören des Handys der Kanzlerin führte zu tiefem Misstrauen gegenüber dem transatlantischen Partner. Angela Merkels Satz "Ausspähen unter Freunden, das geht gar nicht" wurde gestern auch in Frankreich oft zitiert. Denn die NSA spionierte nicht nur hinter der Kanzlerin, sondern auch hinter dem französischen Präsidenten her - und zwar jahrelang. Jacques Chirac , Nicolas Sarkozy und François Hollande waren zwischen 2006 und 2012 ebenso im Visier der US-Agenten wie ihre Berater und Minister. Die Äußerungen, die die Enthüllungsplattform Wikileaks veröffentlichte, sind besonders für Hollande peinlich. Denn das Gift der NSA droht sich nun auch in seine Beziehung zu Angela Merkel zu fressen.

Offen lästerte der Präsident nach seinem ersten offiziellen Treffen über die Kanzlerin. "Hollande hat sich beschwert, dass nichts Substanzielles dabei herauskam. Das war reine Show", hieß es in einer streng geheimen Notiz zum 15. Mai 2012, als der Staatschef direkt nach seinem Amtsantritt nach Berlin geflogen war. Hinter dem Rücken der Kanzlerin organisierte der Sozialist deshalb ein Geheimtreffen im Élysée mit der SPD-Spitze, die damals in Berlin noch in der Opposition war. Das Thema: ein möglicher Ausstieg Griechenlands aus dem Euro. Merkel vertraute Hollande in der Griechenland-Krise überhaupt nicht. "Hollande findet die Kanzlerin auf den Fiskalpakt und vor allem auf Griechenland fixiert, das sie seiner Ansicht nach fallen gelassen hat", stand in einer Notiz vom 22. Mai 2012.

Während Hollande nur in den ersten Wochen im Amt abgehört worden sein soll, verfolgte die NSA die gesamte Präsidentschaft seines Vorgängers Nicolas Sarkozy am Telefon mit. Die Protokolle zeigen die Selbstüberschätzung des hyperaktiven Staatschefs, der sich 2008 als Einziger in der Lage sah, die Finanzkrise zu bewältigen. "Seiner Meinung nach ist es das erste Mal, dass die USA nicht führende Kraft der weltweiten Krise waren und dass Frankreich die Dinge in die Hand nahm", kommentierte die NSA im Oktober 2008 ironisch. Jahre später wollte Sarkozy dann eine Art No-Spy-Abkommen mit den USA durchsetzen. Schamlos hörte die NSA ein Gespräch seines Beraters Jean-David Levitte mit dem französischen Botschafter in den USA, Pierre Vimont, zu diesem Thema ab. "Der größte Reibungspunkt ist die Tatsache, dass die USA Frankreich weiter ausspionieren wollen", fasste der US-Geheimdienst am 24. März 2010 die Unterhaltung zusammen.

Wirklich überrascht war Levitte deshalb gestern nicht, dass die großen Ohren der NSA bis in sein Büro reichten. "Ich bin immer davon ausgegangen, dass ich abgehört wurde", sagte der einstige Präsidentenberater der französischen Enthüllungsplattform Mediapart. Deutlich empörter fiel dagegen die offizielle Reaktion des Élysée aus. Das Ausspionieren unter Verbündeten sei "inakzeptabel", teilte das Präsidialamt nach einem eigens einberufenen Treffen des Verteidigungsrates mit, der sonst bei Kriegseinsätzen wie in Mali zusammenkommt. Auch Premierminister Manuel Valls kritisierte die Abhöraktion als schweren Vertrauensbruch. "Diese Praktiken sind anormal zwischen demokratischen Staaten, die seit langer Zeit Verbündete sind", sagte er gestern.

Nur rund 400 Meter vom Büro des Präsidenten entfernt sollen die USA, deren Botschafterin gestern ins Außenministerium bestellt wurde, ihren Spähangriff gesteuert haben. In der Avenue Gabriel an der Place de la Concorde liegt streng bewacht die US-Botschaft mit ihren Sprossenfenstern. Doch es handelt sich zumindest im obersten Stockwerk nicht um echte Fenster, sondern um eine bemalte Plane, die den Eindruck einer Fassade erzeugen soll. Dahinter verstecken die USA nach Ansicht des Journalisten Jean-Marc Manach, der für die "Libération" die Wikileaks-Enthüllungen veröffentlichte, seit 2005 ihre Abhörantennen. Kein Wunder, dass Passanten sich die Fassade nun genau anschauen. "Wenn Frankreich sich Respekt verschaffen wollte, würde es die Teile der US-Botschaft einreißen, in der die Abhöraktionen stattfanden", twitterte der Senator Yves Pozzo di Borgo. Eine Bemerkung, die er nur im Scherz gemeint haben will.

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