Interview Oskar Lafontaine „Die Welt lernt nicht dazu“

Saarbrücken · Der Linken-Fraktionschef im Saarland spricht über Rosa Luxemburg, ihr Erbe und egoistische Staaten.

  Oskar Lafontaine fordert eine neue Sozialpolitik.

Oskar Lafontaine fordert eine neue Sozialpolitik.

Foto: dpa/Oliver Dietze

Der 100. Todestag von Rosa Luxemburg eint ein ganzes Spektrum politischer Gruppen im Gedenken. Nach der Symbolfigur der europäischen Arbeiterbewegung ist auch eine parteinahe Stiftung der Linkspartei benannt. Und das ist nicht ihr einziges Erbe, sagt der Fraktionsvorsitzenden der Linken im Saarland, Oskar Lafontaine.

Herr Lafontaine, werden Sie dem Grab von Rosa Luxemburg zum 100.Todestag am Dienstag in Berlin einen Besuch abstatten?

LAFONTAINE Ja. Ich folge damit einer Tradition, die schon bei der Beerdigung von Rosa Luxemburg begonnen hat, als über 100 000 Berliner ihrem Sarg folgten.

Zum Gedenken treffen sich dort wie jedes Jahr Anhänger des ganzen linken Spektrums, darunter nicht nur Mitglieder der Linkspartei, sondern auch alter SED-Kader. Wie gehen Sie damit um, gehen Sie da zu vielen auf Distanz?

LAFONTAINE An diesem Gedenktag beteiligen sich viele Menschen unterschiedlicher politischer Ausrichtungen. Auch immer mehr junge Menschen, die die politischen Verhältnisse vor dem Fall der Mauer 1989 überhaupt nicht mehr kennengelernt haben.

Welche Gemeinsamkeiten gibt es denn heute noch in diesem breiten linken Spektrum?

LAFONTAINE Es geht um soziale Gerechtigkeit und Frieden. Also um die Ziele, für die auch Rosa Luxemburg ihr Leben lang gekämpft hat.

Wenn Sie in der heutigen Zeit die Gelegenheit hätten, mit Rosa Luxemburg zu sprechen: Welches Kompliment würden Sie ihr machen?

LAFONTAINE Dass sie sich mit Leidenschaft für ihre Ziele eingesetzt hat. Gerade wenn es um die Erhaltung des Friedens ging, hat sie unsere Wirtschaftsordnung ähnlich kritisch beurteilt wie heute Papst Franziskus, der sagt: Diese Wirtschaft tötet. Und wenn man die Kriege um Rohstoffe und Absatzmärkte im Vorderen Orient oder Afrika sieht, dann ist die Analyse von Rosa Luxemburg nach wie vor aktuell.

Rosa Luxemburgs politische Initiativen entstanden vor dem Hintergrund der Industrialisierung. Die Globalisierung stellt uns vor ganz andere gewaltige Herausforderungen. Welche Antworten hätte Rosa Luxemburg darauf?

LAFONTAINE Ich könnte mir vorstellen, dass sie in der heutigen Zeit die neue Form der Enteignung thematisieren würde, die darin besteht, dass die großen US-Konzerne Google, Amazon, Facebook das Privatleben der Menschen ausspionieren und zu Werbezwecken ausnutzen. Das gefährdet die Demokratie, für die sich Rosa Luxemburg immer einsetzte. Sie sagte: Freiheit ist immer Freiheit des Andersdenkenden.

Was verbindet Sie persönlich heute mit Rosa Luxemburg?

LAFONTAINE Ihr Eintreten für eine Politik des Friedens. Rosa Luxemburg hatte nach dem Ersten Weltkrieg vergeblich gefordert, die Rüstungsindustrie zu verstaatlichen, um zu verhindern, dass die Rüstungsindustrie die Politik zu Kriegen drängt. Vor dem militärisch-industriellen Komplex hat aus denselben Gründen ja auch später der amerikanische Präsident Eisenhower gewarnt. Die Welt lernt aber nicht dazu. Wie Trump rüstet auch die Regierung Merkel weiter auf und liefert Waffen in Kriegsgebiete.

Wie sehen Sie die Rolle der SPD in der Novemberrevolution 1918/19, und gibt es Parallelen zu heute?

LAFONTAINE Die SPD hatte 1918/1919 nicht den Mut, mit den alten Machtstrukturen zu brechen. Friedrich Ebert (damaliger SPD-Vorsitzender, ab Februar 1919 Reichspräsident; die Red.) hat sich mit den reaktionären Kräften des untergegangenen Kaiserreichs verbündet, um die aufkommende Revolution niederzuschlagen. Und dass außerdem der Sozialdemokrat Gustav Noske eine entscheidende Rolle gespielt hat bei der Ermordung Rosa Luxemburgs und Karl Liebknechts, ist ein Makel, der bis heute an der SPD haftet.

Was, denken Sie, würde Rosa Luxemburg heute zum Zustand der SPD sagen?

LAFONTAINE Sie trat leidenschaftlich für die Rechte der Arbeitnehmer und all derer ein, die um ihren Lebensunterhalt kämpfen mussten. Sie wäre sicherlich eine der schärfsten Kritikerinnen des auch von der SPD durch die Agenda 2010 zu verantwortenden Sozialabbaus.

Die von Ihnen und Ihrer Frau Sahra Wagenknecht gegründete Sammlungsbewegung „Aufstehen“ kritisiert die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung und wendet sich – anders als die meisten in Ihrer Partei – gegen offene Grenzen. Gerade auch vor dem Hintergrund des deutschen Arbeitsmarkts. Steht das nicht im krassen Gegensatz zu Rosa Luxemburgs Idee vom Sozialismus, der sich auch dem Internationalismus verschrieben hatte?

LAFONTAINE Wir sind durchaus für offene Grenzen, aber wir finden, dass die Grenzen nicht nur nach einer, sondern nach zwei Seiten offen sein sollten. Statt die Milliarden lediglich für die Menschen auszugeben, die zu uns kommen, wollen wir auch, dass ein Teil dieser Milliarden ausgegeben wird, um den Millionen Menschen in den Lagern und Hungergebieten zu helfen, die zu schwach oder zu arm sind, um nach Deutschland zu kommen. Und statt den armen Ländern Fachkräfte abzuwerben, sollten wir Spezialisten in diese Länder schicken, um ihnen zu helfen. Mein Leitbild ist Albert Schweizer, der nach Afrika ging, um dort die Kranken zu versorgen. Heute werden Ärzte und Krankenschwestern aus Afrika angeworben, um hier zu arbeiten, als gäbe es dort keine Kranken.

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