Kretschmann kann weitermachen

Winfried Kretschmann war überwältigt: Vor 30 Jahren schenkten die Grünen dem damaligen Ministerpräsidenten Lothar Späth einen Kaktus zu ihrem ersten Einzug ins Parlament, im Jahr 2016 werden die Grünen in Baden-Württemberg erste Kraft.

 Winfried Kretschmann hat schwierige Koalitionsverhandlungen vor sich.Foto: Maurer/dpa

Winfried Kretschmann hat schwierige Koalitionsverhandlungen vor sich.Foto: Maurer/dpa

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"Das bewegt mich persönlich sehr, ich bin überwältigt", sagt Spitzenkandidat Winfried Kretschmann vor Medienvertretern, bevor er weitergereicht wird zu den TV-Sendern. Eine gute Stunde später ploppen auf den Tabellenwänden der Landeswahlleiterin die Ergebnisse aus den Wahlkreisen auf: Ein ums andere Mandat wird von den Grünen direkt gewonnen, das gab es so noch nie. 2011 holte die CDU selbst unter Stefan Mappus noch 60 von 70 Erstmandaten. Nun legen die Grünen, vom Kretschmann-Effekt gepuscht, reihenweise die Schalter um. Auch Kretschmann selbst holt ein Direktmandat im Wahlkreis Nürtingen - es ist sein erstes Mal. Seine Partei stößt bis in stabile CDU-Hochburgen vor. Doch das Wahlergebnis bringt keine eindeutige Lage hervor. In die Freude der Grünen mischt sich deshalb etwas Nachdenklichkeit.

Schock dagegen bei der CDU . Sie rutscht um fast zehn Prozent ab. Als der glücklose Spitzenkandidat Guido Wolf zu seinen Anhängern im Landtag kommt, applaudieren sie wie die Sieger. Sie trösten sich mit dem Triumph, dass Grün-Rot die Mehrheit verloren hat. Wolf leitet daraus einen Regierungsauftrag ab, will Verantwortung übernehmen. Man wolle wieder dafür kämpfen, wieder stärker zu werden. "Lust auf Zukunft bleibt unser Motto", ruft er, er habe schließlich das Votum des Mitgliederentscheides. Daraus leitet er seinen Auftrag ab, nicht etwa aus dem Wahlergebnis an diesem Abend. Auch später am Abend wiederholt er diese Marschroute, sie scheint besprochen im CDU-Präsidium der Partei, das lange zusammensaß. Es gibt aber auch andere Stimmen. Solche, die höhnen "Hauptsache Pöschtle" - Hauptsache Postensicherung. Und solche, die Selbstkritik vermissen.

Bei der SPD werden die Gesichter lang und länger, als die roten Balken nicht höher als 13 Prozent ausschlagen. "Es kann keine Koalition der Verlierer geben", sagt Spitzenkandidat Nils Schmid , von Rücktritt spricht er nicht. Unfassbar, so auch Kultusminister Andreas Stoch. Jeder habe ihm auf die Schulter geklopft und "toller Job" gesagt. Und nun das. SPD-Fraktionschef Claus Schmiedel spricht von einem absoluten Tiefpunkt. Das einzige Direktmandat, das die Südwest-SPD 2011 direkt gewonnen hat im Wahlkreis Mannheim I, geht an die AfD - das sagt alles an diesem Abend. Trotzdem verweigert sich Schmid einer von der CDU ins Spiel gebrachte Deutschland-Koalition aus CDU , SPD und FDP . So sagt er das nicht, er weist nur darauf hin, dass Kretschmann und die Grünen den Auftrag zur Regierungsbildung haben. Die FDP laviert. Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke beharrt auch in der Statementrunde darauf, ohne eine Politikwechsel werde die FDP nicht mitmachen. Klar, das Land brauche eine Regierung, aber die grün-rote Landesregierung sei abgewählt worden. Die Grünen wollen heute tagen - im Haus der Abgeordneten, wo schon 2011 die Koalitionsverhandlungen stattfanden. Damals war alles schnell erledigt: Es reichte für Grün-Rot. So kampflos wie Stefan Mappus damals werden Wolf und Strobl indes nicht aufgeben. "Baden-Württemberg hat nochmal Geschichte geschrieben", sagt Kretschmann. Das trifft auch auf andere Weise zu: Die AfD schafft es aus dem Stand auf fast 15 Prozent. Versteinert stehen die etablierten Parteienvertreter daneben, als AfD-Spitzenkandidat Jörg Meuthen meint: "Wir haben es allen gezeigt". Einig sind sich alle, mit der AfD nicht koalieren zu wollen. Was sie wollen, wissen sie noch nicht.

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