Krankenkassen im Fusionsfieber

Berlin. Mehr als 50 gesetzliche Krankenkassen hält Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD, Foto: dpa) für unnötig. Schließlich könne ein Erwachsener bis zu seinem Lebensende dann immer noch einmal jährlich die Kasse wechseln, sagt die Rheinländerin. Das war eher scherzhaft gemeint. Aber in der Sache hat Schmidts Wunsch gute Chancen, wahr zu werden

Berlin. Mehr als 50 gesetzliche Krankenkassen hält Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD, Foto: dpa) für unnötig. Schließlich könne ein Erwachsener bis zu seinem Lebensende dann immer noch einmal jährlich die Kasse wechseln, sagt die Rheinländerin. Das war eher scherzhaft gemeint. Aber in der Sache hat Schmidts Wunsch gute Chancen, wahr zu werden. Gab es 1992 noch mehr als 1200 gesetzliche Krankenkassen, so waren es zu Beginn dieses Jahres nur noch 203. Tendenz: stark fallend.

Das Bundesversicherungsamt geht davon aus, dass bis Mitte 2009 weitere neun Kassen vom Markt verschwinden. "Am Ende des Jahres könnten wir bei 170 oder 180 Kassen landen", prophezeit der Bremer Gesundheitsökonom Gerd Glaeske. In drei bis vier Jahren werde die Zahl schon deutlich unter 100 liegen.

Ursache der beschleunigten Fusionswelle ist der am 1. Januar in Kraft getretene Gesundheitsfonds. Vor allem Betriebskrankenkassen (BKK), die vornehmlich über eine gesunde Klientel verfügen und deshalb mit niedrigen Beitragssätzen punkten konnten, haben ihren Wettbewerbsvorteil verloren. Mit dem Fonds gilt ein Einheitssatz von 15,5 Prozent für alle. Und wer vergleichsweise wenige kranke Versicherte hat, bekommt als Kasse aus dem Fonds auch weniger Geld. Bei den BKK ist das Fusionsfieber folglich auch am höchsten. Allein zum 1. Januar verschwanden knapp ein Dutzend vom Markt. Dabei tun sich immer mehr Betriebskrankenkassen auch mit Ersatz- oder Innungskrankenkassen zusammen. Die Möglichkeit der kassenart-übergreifenden Fusion ist erst seit zwei Jahren erlaubt. So wollen Anfang April zum Beispiel die Kaufmännische Krankenkasse (KKH) und die BKK Allianz fusionieren. Mit 1,9 Millionen Versicherten ist die KKH bundesweit die viertgrößte Kasse. Die BKK Allianz bringt lediglich 101 000 Versicherte in die neue Verbindung ein.

Das betriebswirtschaftliche Interesse an möglichst vielen Kassenmitgliedern geht ebenfalls auf die gesundheitspolitischen Beschlüsse der jüngeren Vergangenheit zurück. So können Krankenkassen jetzt auch mit einzelnen Ärztegruppen Verträge schließen und mit Pharmaunternehmen Rabatte für Medikamente aushandeln "Wenn eine Kasse zum Beispiel strukturierte Behandlungsprogramme gegen Depressionen anbietet und dazu auf bestimmte Therapien drängt, dann hat die Kasse natürlich eine bessere Verhandlungsposition, wenn sie den Ärzten nicht nur zwei Prozent der Patienten bringt, sondern vielleicht zehn oder 20 Prozent", erläutert Glaeske. Ein weiterer Aspekt: Aus dem Gesundheitsfonds erhalten die Kassen für jeden ihrer Versicherten eine Pauschale, die sich nach Alter, Geschlecht und Gesundheitszustand ausrichtet. Dadurch werden auch kostenlos mitversicherte Familienangehörige für die Kasse attraktiv. "Auf Dauer können nur größere Kassen überleben", sagt Gleaske.

Fragt sich nur, ob die Marktbereinigung stets zum Nutzen der Patienten ist. Gesundheitsministerin Schmidt lässt daran keinen Zweifel. Denn statt um gesunde Mitglieder zu buhlen, müssten die Kassen nun mit guten Angeboten und dem besten Service konkurrieren. Andere Gesundheitsexperten sind da skeptischer. So wird befürchtet, dass bestimmte Kassen eine Monopolstellung erlangen, die sie in den Verhandlungen mit den Medizinern ausspielen. Nach Einschätzung Glaeskes könnten die Kassen zumindest für eine Übergangszeit bei der Patientenversorgung sparen. Denn einstweilen wagt noch kein Institut, einen Zusatzbeitrag zu erheben. Der würde fällig, wenn die Zuweisungen aus dem Fonds zu knapp bemessen sind. Die Patienten müssten begreifen, dass ein Zusatzbeitrag nicht grundsätzlich auf ein schlechtes Wirtschaften der Kasse schließen lasse, argumentiert Glaeske. "Der Zusatzbeitrag kann auch für eine bessere Versorgung der Versicherten stehen."

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