Menschenrechtler Jubel über Steudtner, aber keine Entwarnung

Istanbul/Berlin · Der deutsche Menschenrechtler ist nicht mehr in türkischer Haft, auch dank Altkanzler Schröder. Das Ende aller Spannungen ist das aber nicht.

Als Bundeskanzler Gerhard Schröder schon abgewählt, aber gerade noch im Amt war, besuchte er im Oktober 2005 noch einmal den damaligen türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan. Sie trafen sich in Istanbul zum gemeinsamen Fastenbrechen. Eine Woche zuvor hatte die EU Beitrittsverhandlungen mit der Türkei aufgenommen, und Erdogan wusste genau, wem er die historische Entscheidung zu einem großen Teil zu verdanken hatte. Schröder habe selbst „in den kritischsten“ Zeiten zur Türkei gestanden, sagte er damals. „Das werden wir nicht vergessen.“ Schröder bezeichnete Erdogan kurz danach als einen „lieben Freund“.

Das exzellente Verhältnis der beiden scheint von allen aktuellen Verwerfungen in den deutsch-türkischen Beziehungen unberührt geblieben zu sein. Es ist offensichtlich immer noch so gut, dass ein Wiedersehen der beiden in der Türkei im September den Durchbruch für die Freilassung des Menschenrechtlers Peter Steudtner aus der Haft in der Türkei gebracht haben soll. Eingefädelt wurde die Vermittlung des Altkanzlers von Außenminister Sigmar Gabriel. Kein Wunder, dass der SPD-Politiker Gabriel als einziger Spitzenpolitiker im Wahlkampf nicht in das Schröder-Bashing wegen dessen geplanten Einstiegs beim russischen Energieriesen Rosneft eingestiegen ist. Jetzt also die Türkei. Die geheime Mission Schröders soll auch mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) abgestimmt gewesen sein. Was der Altkanzler genau mit Erdogan besprochen hat, blieb gestern zunächst im Dunkeln. Gabriel äußerte sich nur kurz bei „Spiegel online“: „Ich bin Gerhard Schröder sehr dankbar für seine Vermittlung“, sagte er. „Es ist ein erstes Zeichen der Entspannung, denn die türkische Regierung hat alle Zusagen eingehalten. Nun müssen wir weiter an der Freilassung der anderen Inhaftierten arbeiten.“

Gabriels Erleichterung wurde im politischen Berlin parteiübergreifend geteilt. Eine fortdauernde Inhaftierung Steudtners wäre eine Garantie dafür gewesen, dass die Spannungen zwischen Berlin und Ankara noch weiter eskaliert wären. Beendet ist die bilaterale Krise mit der Freilassung des Deutschen aber nicht. Denn mindestens zehn weitere Bundesbürger sind noch aus politischen Gründen in der Türkei in Haft.

Der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu hatte kürzlich erklärt, wie er sich einen Normalisierungsprozess vorstellt: als Geben und Nehmen. „Wenn ihr einen Schritt auf uns zugeht, gehen wir zwei auf euch zu.“ Jetzt hat die Türkei den ersten Schritt gemacht. Aus ihrer Sicht wäre jetzt wohl Deutschland an der Reihe. Es ist aber nicht zu erwarten, dass die Bundesregierung ihre im Juli eingeleitete neue Türkei-Politik relativiert. Wahrscheinlicher ist, dass sie den Druck aufrecht erhält, bis die anderen Gefangenen frei sind. Alles andere wäre innenpolitisch kaum zu vermitteln.

Vor allem im prominentesten Fall gibt es keinerlei Fortschritte. Gemeint ist der „Welt“-Korrespondent Deniz Yücel. In der Erleichterung über die Freilassung Steudtners droht unterzugehen, dass die türkische Regierung beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eine Fristverlängerung erwirkte, um eine Stellungnahme zu Yücels U-Haft abzugeben. Bislang liegt nicht einmal eine Anklageschrift gegen den deutsch-türkischen Journalisten vor, der seit mehr als acht Monaten hinter Gittern ist.

Steudtner und sein schwedischer Kollege Ali Gharavi sind nun zwar frei, mit einem Freispruch ist das aber nicht zu verwechseln: Der Prozess gegen sie und neun türkische Menschenrechtler geht weiter, am 22. November. Die Vorwürfe lauten auf „Mitgliedschaft in einer bewaffneten Terrororganisation“ und auf Terrorunterstützung, worauf bis zu 15 Jahre Haft stehen. Steudtners Lebensgefährtin Magdalena Freudenschuss und Gharavis Ehefrau Laressa Dickey zeigten sich gestern zwar „tief erleichtert“ über die Freilassungen. Sie kritisierten aber: „Die weitere Fortführung des Verfahrens ist für uns nicht nachvollziehbar.“ Zwar werden Steudtner und Gharavi wohl weder für ein Urteil nach Istanbul zurückkehren noch eine eventuelle Haftstrafe antreten. Probleme könnte die türkische Regierung ihnen aber im Fall einer Verurteilung trotzdem bereiten: Wie im Fall Dogan Akhanli könnte sie die beiden Menschenrechtler über Interpol zur Fahndung ausschreiben lassen – und auf eine Auslieferung durch einen anderen Staat hoffen.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort