Joschka versteht Kohl jetzt besser

Berlin · Ex-Außenminister Joschka Fischer meldet sich mit einem Buch zurück. Darin rechnet der ehemalige Obergrüne gnadenlos mit Merkels Euro-Politik ab. Helmut Kohl lobt er dagegen wegen seiner europäischen Gesinnung.

Das Gesicht scheint von Sorgen verkniffen zu sein, die Hände senken sich über den mächtigen Bauch. Dann wieder geht der Zeigefinger hoch, die Stimme wird eindringlich. Joschka Fischer , Ex-Außenminister und etablierter Unternehmensberater, hat ein Buch geschrieben und gestern in Berlin vorgestellt, dessen Titel ein Aufschrei von den politischen Zuschauerrängen ist: Scheitert Europa? Die Antwort des inzwischen auch schon 66 Jahre alten grünen Urgesteins: Wir sind nahe dran.

Düster spielt der einstige Vizekanzler der rot-grünen Koalition darauf an, dass im Sommer vor 100 Jahren der Erste Weltkrieg ausbrach. "Der Sommer 2014 hat es in sich", sind die ersten Worte des schmalen Bändchens, das bei Kiepenheuer&Witsch erschienen ist. "Noch nie war das europäische Integrationsprojekt so gefährdet wie heute."

Und zwar aus Fischers Sicht nicht in erster Linie wegen der wirtschaftlichen Schwäche Europas. Und auch nicht, weil Wladimir Putin auf eine "neoimperiale Politik" setzt. Nein, die wirkliche Gefahr für die EU lauert in Deutschland, und da vor allem, jetzt kommt's, in Angela Merkels Euro-Politik. Der Kanzlerin fehle es, sagt Fischer, an strategischem Denken. "Bei Helmut Kohl gab es hier kein Defizit." Der habe das europäische Ziel nie aus den Augen verloren. Merkel aber habe "ein Vakuum" entstehen lassen. Weniger geht nicht. Der Ex-Obergrüne begründet seine Kritik mit den von Berlin durchgesetzten Sparauflagen für die Krisenländer. "Nichts gegen sparen, aber es kommt darauf an, wann."

Merkels Kurs findet Fischer nicht nur in der Sache falsch, er hält vor allem die politische Wirkung für verheerend. Der stotternde deutsch-französische Motor, die "gewisse deutsche Hochnäsigkeit" - im Ergebnis gebe es nun überall einen "Renationalisierungsprozess". Und so sei es nun mal: Wenn der Weg zu einem "deutschen Europa" führen solle, werde die EU scheitern, denn sie sei gegründet worden, um das wieder erstarkende Deutschland einzubinden. Fischer will ein "europäisches Deutschland", also die Abgabe von Macht aus Berlin nach Brüssel.

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