Neues Organspende-Gesetz Die Lücke in Spahns Organspende-Entwurf

Saarbrücken/Berlin · Die Widerspruchslösung bleibt außen vor bei der Initiative des Gesundheitsministers, in die sich auch das Saarland einbrachte.

 Der Organentnahme-Prozess soll für die Kliniken kein Zusatzgeschäft mehr sein. Das sieht der Referentenentwurf aus dem Haus von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) vor.

Der Organentnahme-Prozess soll für die Kliniken kein Zusatzgeschäft mehr sein. Das sieht der Referentenentwurf aus dem Haus von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) vor.

Foto: dpa/A2931 Bernd Weissbrod

Man müsse halt realistisch sein, sagt der Saarbrücker Pfarrer Jörg Metzinger. Politiker, die sich gegen die „kollektive Befindlichkeit“ stellten, würden abgestraft. Er meint Jens Spahn damit, den Bundesgesundheitsminister (CDU), der am Freitag den Entwurf für ein neues Transplantationsgesetz vorgelegt hat (die SZ berichtete). Und Metzinger meint auch damit, dass Spahn einen entscheidenden Punkt nicht angepackt hat: die Widerspruchslösung. Sie macht alle Menschen zu Organspendern, wenn sie nicht ausdrücklich widersprechen. Derzeit ist es in Deutschland genau umgekehrt: Wer Organspender sein will, muss dies ausdrücklich verfügen. Ein Modell-Fehler, sagt nicht nur Metzinger, sondern fast alle für die Organspende Engagierten, sei es der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach oder der Präsident der Saarländischen Ärztekammer Dr. Josef Mischo.

Metzinger ist im Saarland das bekannteste Gesicht für das Thema Organspende, vor rund einem Monat wurde ihm ein neues Herz eingesetzt. Über 400 Tage lang hatte er Zeit, über System-Defizite nachzudenken: „Der Punkt ist nicht die mangelnde Spendebereitschaft, die Strukturen um die Organspende funktionieren nicht.“ Immer wieder warb Metzinger von seinem Krankenbett in Heidelberg aus für eine bessere finanzielle Vergütung für die Kliniken, die seiner Meinung nach genau deshalb im europäischen Vergleich viel zu wenige potenzielle Organspender melden. Warum? Während die Transplantationskliniken bis zu einer halben Million Euro kassieren, bekommen Kliniken für das gesamte Organentnahmeverfahren maximal 5000 Euro. Dafür muss oft über Tage hinweg ein Intensivbett gestellt werden, denn der Hirntote wird bis zur Entnahme-OP kostenintensiv intensivmedizinisch betreut. Auch sind oft mehrfach zeitaufwendige Gespräche mit den Angehörigen notwendig, wenn der Patient keine eigene Verfügung zur Organspende getroffen hat. Vergütet werden diese Leistungen bisher nicht. Metzinger meint, man müsse die Familien viel frühzeitiger als bisher einbeziehen, dürfe sie nicht erst am Todestag mit dem Anliegen überfallen und überfordern. „Das Angehörigengespräch ist das Allerwichtigste“, meint auch Mischo.

Tatsächlich berichten Klinik-Ärzte, in der Schocksituation der Todesmitteilung tendierten die meisten Menschen zu einer spontanen Ablehnung, empfänden es als eine Zumutung, über Organspende nachzudenken. Spahn will nun das Amt des Transplantationsbeauftragten stärken, das laut Transplantationsgesetz von 2012 alle 1250 Entnahme-Kliniken einführen mussten. Im Saarland gibt es laut der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) 59 an 21 Kliniken. Sie sollen mehr Zeit und Kompetenzen erhalten. Der Gesundheitsminister vollzieht damit eine Wende in der Meinungsbildung nach, die sich öffentlich allerdings erst im Juli dieses Jahres vollzog. Denn der Buhmann für sinkende Spenderzahlen sind seitdem nicht mehr nur die trägen Bürger, die keinen Organspendeausweis beantragen. Auch nicht die misstrauischen Menschen, die nach dem Transplantationsskandal Verschwörungstheorien über Organhandel anhängen. Denn auch Forscher der Uniklinik Kiel haben jetzt herausgefunden, dass nicht die mangelnde Organspende-Bereitschaft der Menschen, wie bisher angenommen, schuld ist am Rückgang der Spenderzahlen – denn die Zahl derer, die einen Organspendeausweis besitzen, hat sich in den vergangenen zehn Jahren um 21 Prozent auf 36 Prozent erhöht. Vielmehr sieht die Kieler Studie die Hauptursache für den Rückgang in Organisations-Defiziten bei den Klinken, in deren Melde-Verhalten. Die Zahlen: Obwohl sich zwischen 2010 und 2015 die Anzahl potenzieller Organspender um 13,9 Prozent auf 27 258 erhöhte, nahm die Kontaktaufnahme zur DSO, die in den Prozess eingeschaltet werden muss, im gleichen Zeitraum um 18,7 Prozent ab. Die Anzahl der tatsächlich realisierten Organspenden sank sogar um 32,3 Prozent und sackte 2017 auf das historische Tief von 797. Das Saarland verhielt sich gegen den Trend, hier gab es 2017 mehr Spender (16) als 2016 (12).

Nun also steuert das neue Gesetz mit mehr Geld im System gegen den Abwärtstrend. Und (fast) alle sind zufrieden. Nach Bekanntwerden des Entwurfs äußerten sich die Bundesärztekammer und die Deutsche Stiftung Patientenschutz zustimmend, auch im Saarland lobte, wie die SZ berichtete, die Saarländische Krankenhausgesellschaft die Reformpläne. Gestern signalisierte die Deutsche Stiftung Organtransplantation auf SZ-Nachfrage ebenfalls Zustimmung: Deren Medizinischer Vorstand, Dr. Axel Rahmel, sagte, der Entwurf schaffe „den strukturellen Rahmen für eine nachhaltige Erhöhung der Organspendezahlen“. Auch die saarländische Gesundheitsministerin Monika Bachmann äußerte sich gegenüber der SZ. Sie hob allerdings einen Nebeneffekt des Gesetzes heraus: dass zukünftig wieder Briefe von Spendenempfängern an die Familien der Spender weitergeleitet werden dürfen – eine Initiative des Saarlandes, die auf der Gesundheitsministerkonferenz in Düsseldorf die Unterstützung aller Bundesländer fand. Dass Spahn dem jetzt folge, sei „ausdrücklich zu begrüßen“, so Bachmann.

 Pfarrer Jörg Metzinger aus Saarbrücken sieht Mängel in Spahns Organspende-Entwurf.

Pfarrer Jörg Metzinger aus Saarbrücken sieht Mängel in Spahns Organspende-Entwurf.

Foto: Jörg Metzinger

Über Konfliktpunkte will offensichtlich derzeit noch niemand sprechen. Dabei liegen sie auf der Hand: Die Kliniken sollen stärker kontrolliert werden und fürchten zusätzlichen Bürokratieaufwand, die Chefärzte Machtkämpfe mit den erstarkten Transplantationsbeauftragten. Und die Krankenkassen sollen die Taschen aufmachen. Noch ist Spahns Reform ein Entwurf.

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