Italiens Innenminister „Capitano“ Salvini inszeniert sich als Volkstribun

Rom · Italiens Innenminister von der rechten Lega macht Politik gegen Ausländer. Seine Landsleute applaudieren. Jetzt ist ihm ein neuer Coup gelungen.

 Innenminister Matteo Salvini von der rechten Regierungspartei Lega kommt bei vielen Italienern gut an.

Innenminister Matteo Salvini von der rechten Regierungspartei Lega kommt bei vielen Italienern gut an.

Foto: dpa/Luca Bruno

Italiener haben ein Faible für starke Männer. Der faschistische Diktator Benito Mussolini wird immer noch von vielen Landsleuten verehrt. Silvio Berlusconi bezirzte vor allem in den 90er Jahren Hausfrauen und Unternehmer. Seit einigen Jahren machen der lautstarke Komiker Beppe Grillo und die Fünf-Sterne-Bewegung von sich Reden. Inzwischen hat Italien schon wieder einen neuen starken Mann: Matteo Salvini, geboren 1973 in Mailand, Journalist, Aktivist und seit Juni Innenminister und Vize-Ministerpräsident. Salvini ist Chef der stramm rechten Lega, die eigentlich nur Junior-Partner in der Regierung mit der Grillo-Bewegung ist. Aber alle Augen richten sich auf ihn, den Innenminister. „Capitano“, Kapitän, rufen ihn seine Anhänger.

Die Sehnsucht nach starken Männern wird größer, wenn man sich selbst als eher schwach empfindet. Dieses Gefühl ist in Italien schon seit Jahren verbreitet. Spätestens seit der Wirtschafts- und Finanzkrise ab 2008 ist dem Land die Strategie des anarchischen Durchwurstelns abhanden gekommen, die Staatskassen sind leer, Brüssel wacht mit Argusaugen. In den vergangenen Jahren sind etwa eine halbe Million Migranten an den Küsten des Mittelmeer-Landes angekommen. Viele junge Menschen verlassen Italien, die Älteren im Land werden immer älter, die Geburtenrate ist die niedrigste in der EU. Wo man auch hinblickt, in den Norden oder Süden, die Stimmung ist verzagt in Italien. Beste Bedingungen für einen Volkstribun.

Matteo Salvini hat wie kein anderer Politiker in Italien die Depression, Angst und Wut seiner Landsleute erfasst und ausgenutzt. Bei den Wahlen im März erzielte seine Lega 17 Prozent der Stimmen, heute würden Umfragen zufolge mehr als 30 Prozent der Italiener die Lega wählen. Seit Juni ist Salvini im Amt, der frühere Mailänder Stadtrat und EU-Parlamentarier bombardiert seine Landsleute seither mit Parolen, jetzt sollen die Fakten folgen.

Sein neuster Coup: Zu Beginn dieser Woche verabschiedete die Regierung ein nach dem Innenminister benanntes „Sicherheits-Dekret“. Danach werden Asylanträge ausgesetzt, wenn ein Antragsteller als „sozial gefährlich“ eingestuft wird. Asylanträge von Bewerbern, denen Drogenhandel oder Diebstahl angelastet wird, sollen abgelehnt werden. Die Abschiebehaft darf künftig auf 180 Tage verlängert werden. Aufenthaltsgenehmigungen aus humanitären Gründen werden abgeschafft. Streifenpolizisten in den Städten sollen mit Elektroschockern ausgestattet werden. „Ich bin glücklich“, schrieb der Innenminister auf Twitter. „Ein weiterer Schritt, um Italien sicherer zu machen.“ Dazu setzte Salvini einen lachenden Smiley.

Die Italiener scheinen auf jemanden wie ihn nur gewartet zu haben. 72 Prozent von ihnen sind einverstanden mit der gnadenlosen Ausländerpolitik. Die Kompromisslosigkeit des Innenministers hat längst auch das Interesse im Ausland geweckt. Das US-Magazin Time brachte neulich eine Titelgeschichte über Salvini, unter seinem Foto die Worte: „Das neue Gesicht Europas“. Auch in der EU blicken die Radikalen voller Anerkennung nach Rom. Hier gelingt einem Rechtsaußen-Politiker, wovon die Verbündeten im Ausland bislang nur träumen: Salvini macht radikale Politik gegen Ausländer und weite Teile der Bevölkerung applaudieren.

Für die Reaktion der Italiener gibt es vor allem zwei Gründe. Einerseits fühlt sich Italien, mit Griechenland eines der beiden großen Ankunftsländer für Migranten in der EU, bereits seit Jahren von den anderen EU-Staaten im Stich gelassen. Jahrelang war es nur eine Minderheit im Land, die sich über bettelnde Afrikaner auf den Bürgersteigen oder unkontrollierte Strandhändler aufregte. Inzwischen beschweren sich immer mehr Landsleute über die Fremden, sie sind der Tropfen der das italienische Frust-Fass zum Überlaufen gebracht hat. Salvini hatte zudem den Vorteil, in ein Vakuum vorzustoßen. Seit dem langsamen Niedergang der Berlusconi-Partei Forza Italia gibt es keine schlagkräftige Partei rechts der Mitte. Der vielleicht wichtigste Schachzug Salvinis dabei war, die frühere Lega Nord bei den Parlamentswahlen nun als „Lega“ erstmals italienweit aufzustellen.

Als erstes verweigerte der Innenminister mit Flüchtlingen beladenen Hilfsschiffen das Anlegen. Wenig später kündigte er eine Volkszählung von Sinti und Roma in Italien an. Seit Salvini im August verfügte, dass 177 Flüchtlinge tagelang auf dem Schiff Diciotti der italienischen Marine festgesetzt werden, ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen Freiheitsberaubung gegen ihn. Doch der Konsens in der Bevölkerung wirkt beinahe wie ein Schutzschild. „Sollen sie mich doch festnehmen“, schrieb Salvini auf Twitter. „Ich bin stolz für die Verteidigung der Grenzen und die Sicherheit der Italiener zu kämpfen.“

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