Politische Krise Italien ist so gespalten wie selten zuvor

Brüssel/Rom · Schicksalstage für die drittgrößte Volkswirtschaft der Eurozone: Die EU blickt mit Sorge auf einen ihrer Gründungsstaaten.

 Geht es nach Fünf-Sterne-Chef Luigi Di Maio (links), sollte der designierte pro-europäische Regierungschef, Carlo Cottarelli (r.), schnell wieder von der Bildfläche verschwinden. Auch den Lega-Anhängern ist er ein Dorn im Auge.

Geht es nach Fünf-Sterne-Chef Luigi Di Maio (links), sollte der designierte pro-europäische Regierungschef, Carlo Cottarelli (r.), schnell wieder von der Bildfläche verschwinden. Auch den Lega-Anhängern ist er ein Dorn im Auge.

Foto: dpa/Alessandro Di Meo

Tagelang blickte Brüssel mit Grausen auf die Regierungsbildung in Italien. Als sich die EU-kritischen Partner Lega und Fünf Sterne einig schienen, häuften sich Mahnungen an die Adresse Roms, doch bitte vernünftig zu bleiben. Die angespannte Lage hat auch für Turbulenzen an den Finanzmärkten gesorgt, zuletzt am Dienstag. Obwohl das  Bündnis der Populisten inzwischen geplatzt ist. Und wie geht es nun weiter? Ein Überblick.

Wieso ist die Regierungsbildung in Italien überhaupt so wichtig?

Das Land hat als EU-Gründerstaat große Symbolkraft. Bräche das Land als Stütze der EU weg, könnte dies das ganze Gefüge ins Wanken bringen. Auch deshalb ließen Lega und Sterne mit Grundsatzkritik an Brüssel, am Euro und an den EU-Haushaltsregeln die Alarmglocken schrillen. Zudem machte man sich in Brüssel Sorgen, dass die in der Koalitionsvereinbarung versprochenen Sozialausgaben das Euroland in ernste Schwierigkeiten bringen könnten und die gesamte Eurozone ebenfalls.

Warum?

Italien hat bereits Schulden in Höhe von knapp 132 Prozent seiner Wirtschaftskraft – dabei sind in der EU eigentlich nur 60 Prozent erlaubt. Nur in Griechenland liegt die Schuldenquote höher, doch ist Italiens Volkswirtschaft ungleich größer. Auf die Bilanzen der italienischen Banken drücken zudem Berge fauler Kredite, die als Stabilitätsrisiko gelten. Wirtschaftswachstum und Reformen lahmen seit Jahren. Kurzum: Italien gilt in der Eurozone inzwischen als der wohl größte Unsicherheitsfaktor.

Und ist man jetzt nicht froh, dass die Koalition der Spendierhosen nicht kommt?

Insgeheim schon. Erstmal startete der deutsche Leitindex Dax am Montag mit Gewinnen. Doch dann drehten die Kurse ins Minus. Denn die Lage hat sich mit dem vorläufigen Aus der populistischen Koalition nicht grundsätzlich geändert. Da die von Präsident Mattarella angestrebte Technokraten-Regierung unter Carlo Cottarelli keine Mehrheit bekommen dürfte, könnten schon im Spätsommer Neuwahlen anstehen. Und die könnten dann eine echte populistische Wende in Italien bringen.

Was ist dort jetzt zu erwarten?

Die Fronten verhärten sich. Die Sterne haben mit einem Amtsenthebungsverfahren gegen Staatschef Mattarella gedroht. Parteichef Luigi Di Maio kündigte an, er wolle sicherstellen, dass bei der nächsten Wahl „nicht derselbe Präsident“ an der Macht sei, der eine „Regierung des Wandels“ verhindern wolle. Den nächsten Präsidenten müssten die Bürger wählen, „nicht die Ratingagenturen, die Banken oder die Deutschen“, so Di Maio. Er rief für Samstag zu einer großen Demonstration im Herzen von Rom auf. Am 2. Juni, am Tag der Republik – Nationalfeiertag in Italien. Für Freitag riefen auch die Sozialdemokraten zu Demos in Rom und Mailand auf. Sie wollen die Institutionen und den Präsidenten verteidigen.

Wie reagieren die EU-Partner?

Mit dem Prinzip Hoffnung. Der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn hielt sich mit Ratschlägen zurück. „Ich glaube, wir brauchen dem Präsidenten Mattarella keine Gebrauchsanleitung zu geben“, sagte Asselborn. „Er weiß schon, was er macht.“ Die Grünen fordern jedoch, jetzt nicht nur abzuwarten, sondern Italien so beizustehen, dass nicht noch mehr Bürger EU-kritische Parteien wählen. Davor warnte auch EU-Kommissar Günther Oettinger auf seine ganz eigene Art – und erntete heftige Kritik. In einem Interview mit der Deutschen Welle äußerte er die Hoffnung, die negative Reaktion der Finanzmärkte möge die taliener davon abbringen, bei Neuwahlen wieder die Populisten zu wählen. Lega-Chef Matteo Salvini warf dem EU-Haushaltskommissar prompt über Twitter Wahlbeeinflussung vor.

Welche Maßnahmen könnten Italien denn noch davon abbringen, erneut die Populisten zu wählen?

Es stehen zwei wichtige Reformen an, von denen Italien profitieren könnte. So sollen sowohl die seit Jahren debattierte Asylreform als auch der Umbau der Eurozone bis zum EU-Gipfel Ende Juni eingestielt werden. Eine gemeinsame Flüchtlingspolitik könnte Italien entlasten. Und eine Vollendung der Bankenunion sowie der Ausbau des Eurorettungsschirms zu einem europäischen Währungsfonds könnte dem Land ebenfalls nützen.

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