Außenminister Johnson Ist Brexit-Boris etwa nur eine internationale Witzfigur?

London · Er war das Gesicht der Brexit-Kampagne, doch als Außenminister strauchelt der Blondschopf nur noch. Jetzt meldet sich sogar Downing Street zu Wort.

Als Boris, wie er nur genannt wird, im vergangenen Jahr zum Außenminister berufen wurde, traf das nicht nur das verdutzte Publikum als Überraschungscoup. Der Karriereaufstieg schien auch für Boris Johnson selbst unerwartet gekommen zu sein. Das Gesicht der Brexit-Kampagne gab sich fast demütig – auch das überraschend angesichts seines oft großmäuligen Auftretens. Doch Premierministerin Theresa May wollte mit ihrem Schachzug sowohl die zerstrittene konservative Partei befrieden, als auch den obersten Brexiteer in die Verantwortung nehmen. Immerhin hatte er wochenlang mit Hilfe von Halbwahrheiten den Briten eine rosige Zukunft nach dem EU-Austritt des Landes versprochen. Nun also sollte er die Suppe auslöffeln, die er dem Königreich mit eingebrockt hat – als Chef-Diplomat an vorderster Front mit Brexit-Minister David Davis und Handelsminister Liam Fox.

Mehr als ein Jahr ist seitdem vergangen, die Scheidungsverhandlungen laufen, und Johnson? Er hält sich dezent zurück, meldet sich nur ab und an mit markigen Sprüchen zu Wort, die zwar unbestritten Unterhaltungswert haben, aber kaum durch Bedeutungsschwere auffallen. Man werde auf die Geldforderungen der EU „pfeifen“, hatte der Liebling der Brexiteers äußerst undiplomatisch getönt. Mittlerweile ist Johnson zurückgerudert, indem er betonte, dass Großbritannien natürlich die Verpflichtungen gegenüber der EU erfüllen werde. Und doch zeigt die Episode das Problem. „Es herrscht eine Unfähigkeit oder der Unwillen, die langfristigen Konsequenzen seiner Position durchzudenken“, schrieb die Journalistin Rachel Sylvester gerade erst in „The Times“ über Johnson und kritisierte eine fehlende Vorstellung, was Brexit nun genau bedeutet. Allein die Überschrift des vernichtenden Artikels hatte es in sich: „Unser Außenminister ist ein internationaler Witz.“

Sie zitiert einen konservativen Abgeordneten, der regelmäßig auf dem Kontinent unterwegs ist und seine Erfahrungen so zusammenfasst: „Die Franzosen denken, Boris ist komplett unzuverlässig. Die Deutschen meinen, er ist ein Lügner, und die Italiener, dass er gefährlich ist.“ Auch in den USA scheint es um die Reputation nicht zum Besten bestellt, wie sie aus Insiderkreisen erfahren hat. Laut Bericht halten sogar Offizielle im Weißen Haus Abstand zum obersten Diplomaten Ihrer Majestät – und das, obwohl Johnson bei Fragen zu Donald Trumps Agieren auf weltpolitischer Bühne regelmäßig einen Eiertanz aufführt, wenn Kollegen vom Kontinent längst Kritik äußern.

In Europa wurde sein Ruf vor allem durch seine Rolle als lautstarker Brexit-Kämpfer ramponiert. Es gebe keinen einzigen Außenminister, der ihn ernst nehme, wird der britische Parlamentarier zitiert. „Sie denken, er ist ein Clown, der keinem Witz widerstehen kann.“ Diplomatie als Lachnummer in diesen schweren Zeiten, in denen sich Europa einig im Widerstand gegen Großbritannien ist und das Königreich wie nie auf gute Beziehungen angewiesen ist?

Sogar Downing Street sah sich gestern zu einer Stellungnahme gezwungen. Premierministerin May habe „volles Vertrauen“ in Johnson. Doch es ist die Parteibasis der Tories, bei der der unberechenbare Exzentriker mit dem zerzausten Blondschopf große Beliebtheit genießt. Noch immer werden ihm Chancen für das höchste Amt als Regierungschef zugerechnet. Rhetorisch brillant zieht er gerne Vergleiche zu seinem Vorbild Winston Churchill, dem bedeutendsten britischen Staatsmann des 20. Jahrhunderts. Doch es könnte am Ende allein seinen Patzern geschuldet sein, dass es der ehrgeizige Machtmensch nicht bis nach ganz oben schafft. Auch wenn Mitarbeiter hinter vorgehaltener Hand beklagen, dass mehr als bei allen anderen Politikern jedes Wort von Johnson auf der Goldwaage landet, viele Bemerkungen aus dem Kontext gerissen sind und die Medien nur auf einen Faux-Pas warten, der Außenminister müsste um den Furor um seine Persönlichkeit wissen.

Und die Kritik nimmt zu. Erst kürzlich monierte der angesehene Ex-Diplomat Lord Kerr of Kinlochard, dass britische Außenminister in der Vergangenheit im Ausland als Eisbrecher fungierten, insbesondere in Europa und Amerika, „aber das ist vielleicht nicht Boris‘ Spiel“.

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