„Irgendwann reicht es einfach“

Panzer mit flatternden türkischen Fahnen rollen tosend in Richtung syrischer Grenze. Die Soldaten - einige schauen mit Sonnenbrille aus den Luken - sehen stolz aus und winken schaulustigen Dorfbewohnern zu. Einen Tag nach Beginn der Bodenoffensive türkischer Streitkräfte und syrischer Rebellen gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) in der syrischen Grenzstadt Dscharablus rollt am Donnerstag weitere Verstärkung über den türkischen Grenzort Karkamis ins Nachbarland. In einer zweiten Phase geht es der Türkei jetzt darum, kurdische Milizen auf die Ostseite des Flusses Euphrat zurückzudrängen.

Abgesehen von den hin und wieder vorbeirollenden Panzern gleicht Karkamis einer Geisterstadt. Nur ein paar Männer sitzen auf der Straße, hin und wieder taucht ein Soldat oder Polizist auf. "Wir haben unsere Frauen mit den Kindern weggeschickt", sagt der Kioskbesitzer Ibrahim. "Das ist viel zu gefährlich wegen der Raketen, die einschlagen." Er schiebt einen Splitter über die Ladentheke. "Den habe ich nur ein paar Meter vor meinem Laden eingesammelt", sagt er und deutet auf die Straße. Ein Loch in der Wand der Dorfmoschee zeugt von einem anderen Angriff der letzten Tage. Verletzt wurde bisher niemand. "Wir haben keine Angst", sagt Ibrahim. Der 39-Jährige scheint der einzige im Dorf zu sein, der zurzeit alle Hände voll zu tun hat. Ständig gehen Soldaten oder Angehörige der Gendarmerie ein und aus, sie kaufen Wasser, Kekse oder Brot. Ihre Abzeichen verraten, dass sie auch aus anderen Teilen des Landes kommen, wie aus den weiter östlich gelegenen Provinzen Mardin oder Sirnak.

Mehr als zwei Jahre lebten die Einwohner von Karkamis Seite an Seite mit dem von der Terrormiliz IS kontrollierten syrischen Dorf Dscharablus - nur die Grenze war dazwischen. Dass sich die Regierung erst jetzt dazu entschlossen hat, diesen Zustand zu beenden, nimmt ihr hier dennoch keiner übel. Mit Blick auf den schweren Terroranschlag auf eine Hochzeitsgesellschaft vergangenes Wochenende in der Provinzhauptstadt Gaziantep sagt der Elek triker Hikmet: "Irgendwann reicht es einfach."

Von den Vorbereitungen für die Bodenoffensive jenseits der Grenze haben die Leute hier wenig mitbekommen. Die syrischen Oppositionellen, die heimlich von der Türkei aus nach Dscharablus eingedrungen sein sollen, hat niemand gesehen. Zwei Kämpfer eben jener syrischen Opposition wissen mehr. Die 28 und 30 Jahre alten Brüder halten sich in Gaziantep auf, wollen aber in den nächsten Tagen zu ihren Kämpfern der Al-Dschabha al-Schamia in Dscharablus hinzustoßen. Daher wollen sie nicht, dass ihre Namen in der Zeitung erscheinen.

Der ältere der beiden trägt einen gestutzten Bart und ein rosa T-Shirt. Er dreht nachdenklich seine Zigarette in der Hand, als er die Ziele der Rebellen aufzählt: den IS zurückdrängen, kein zusammenhängendes kurdisches Gebiet in Syrien und kein Zerfall des Landes - was sich komplett mit den erklärten Zielen der türkischen Regierung deckt. Viele von ihnen seien aus anderen Teilen Syriens über die Türkei zum Grenzübergang Dscharablus gebracht worden. Das sei "seit Monaten" geplant gewesen.

Der Jüngere der beiden wirkt etwas aufgeregter. Er schaut seinen Bruder mit funkelnden Augen an, wenn er über den syrischen Machthaber Baschar al-Assad spricht. Der dürfe auf gar keinen Fall mit einem Exil etwa beim Verbündeten im Iran davonkommen. "Assad muss zur Verantwortung gezogen werden", fordert der 28-Jährige. An eine politische Lösung des Syrienkonflikts glauben jedoch beide nicht. Die Frage danach lässt sie bitter auflachen. Schließlich sagt der ältere: "Nachdem so viele Menschen gestorben sind und nichts passiert ist, wird es auch jetzt keine politische Lösung mehr geben."

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