In Straßburg sitzt heute die russische Justiz vor Gericht

Straßburg. Eines der politisch brisantesten Urteile seit Jahren wird der Straßburger Menschenrechtsgerichtshof heute verkünden: Die Europarats-Richter entscheiden über die Rechtmäßigkeit des Strafverfahrens gegen den einst reichsten Russen Michail Chodorkowski

Straßburg. Eines der politisch brisantesten Urteile seit Jahren wird der Straßburger Menschenrechtsgerichtshof heute verkünden: Die Europarats-Richter entscheiden über die Rechtmäßigkeit des Strafverfahrens gegen den einst reichsten Russen Michail Chodorkowski. Der Ex-Boss des Ölkonzerns Yukos sitzt wegen des Vorwurfs der Unterschlagung, der Geldwäsche und des Steuerbetrugs seit 2003 im Knast oder in Straflagern ein. Der spektakuläre Prozess gegen den berühmtesten Häftling Russlands sorgt nicht nur innenpolitisch in Moskau für Wirbel, sondern auch international für Kritik. Kern aller Vorhaltungen: Das Verfahren gegen den einstigen Ölmagnaten sei politisch motiviert und diene dem Zweck, Chodorkowski als ebenso zahlungskräftigen wie einflussreichen Unterstützer der liberalen Opposition auszuschalten. Da birgt das Straßburger Urteil für die russische wie für die internationale Politik erheblichen Sprengsatz.Vergangene Woche hat ein Moskauer Stadtgericht die Strafe gegen Chodorkowski und dessen Geschäftspartner Platon Lebedew geringfügig von 14 auf 13 Jahre reduziert, die beiden kämen danach 2016 frei. Die heutige Entscheidung fußt allerdings auf einer von Chodorkowski bereits im Februar 2004 aus der Anfangszeit seines Strafverfahrens eingereichten Klage, in der er mehrere Verstöße gegen die Menschenrechtscharta des Europarats geltend macht. Hauptvorwurf: Das juristische Vorgehen gegen ihn sei politisch motiviert. Chodorkowski moniert, er sei unrechtmäßig festgenommen und zu lange in Untersuchungshaft festgehalten worden. Auch rügt er die Bedingungen seiner U-Haft und den Umgang mit ihm im Gerichtssaal. Zudem weist er auf das Verbot unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung und Strafe hin, woran sich die Justiz nicht gehalten habe. So werden sich die Europarats-Richter vor allem mit den Umständen der U-Haft Chodorkowskis auseinandersetzen, doch stehen bei ihrem Urteil der gesamte Prozess und das Rechtssystem aus der Ära des autokratisch regierenden Ex-Präsidenten Wladimir Putin auf dem Prüfstand. Offenbar hatte Chodorkowski einen stillen Deal zwischen Kreml und superreichen Unternehmern in Russland gebrochen: Die Oligarchen mischen sich nicht in die Politik ein, und im Gegenzug lässt sie der Kreml ungestört ihre profitablen Geschäfte machen.

In Straßburg ist noch eine Klage ehemaliger Yukos-Aktionäre anhängig, die vom russischen Staat eine sagenhafte Entschädigung von 70 Milliarden Euro erstreiten wollen. Der Vorwurf: Der Konzern sei mit Hilfe rechtswidriger Strafzahlungen und Besteuerungen ruiniert und deshalb illegal zerschlagen und verkauft worden. Wann der Menschenrechtsgerichtshof in diesem Fall ein Urteil verkündet, ist offen.

Ein wenig beachteter Teilaspekt der Yukos-Affäre zeigt, dass für Moskau die Luft in Straßburg durchaus dünn werden kann. Bereits im Dezember 2009 erklärte das oberste russische Gericht den 2003 gegen Chodorkowskis Partner Lebedew ausgestellten Haftbefehl für rechtswidrig, weil der Beschuldigte seinerzeit zu lange in U-Haft gesessen hatte.

Die Moskauer Justiz setzte damit eine Entscheidung der Europarats-Richter um, die Lebedew auch eine Entschädigung von 10 000 Euro zugesprochen hatten. Allerdings hat dieser damalige Teilerfolg Lebedews noch nichts an dessen Verurteilung im Hauptverfahren geändert, wonach er insgesamt 13 Jahre im Knast einsitzen muss.

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