Ende einer Ära Ibbenbüren verabschiedet Saar-Bergleute

Ibbenbüren · Nur noch kurze Zeit wird im Bergwerk Ibbenbüren Kohle gefördert. Im September ist Schluss. Die saarländischen Bergleute haben in der Region viele positive Eindrücke hinterlassen. Ein Besuch vor Ort.

 Auf einer Schicht im Bergwerk (von rechts): Reviersteiger Jörg Himbert (Heusweiler-Kutzhof),Hüseyin Ünal (Völklingen) und Energieelektroniker Holger Marquardt (Elversberg).

Auf einer Schicht im Bergwerk (von rechts): Reviersteiger Jörg Himbert (Heusweiler-Kutzhof),Hüseyin Ünal (Völklingen) und Energieelektroniker Holger Marquardt (Elversberg).

Foto: Thomas Sponticcia

Marc Schrameyer (SPD), Bürgermeister der 54 000 Einwohner zählenden Bergbaustadt Ibbenbüren in Westfalen, ist schon in Abschiedsstimmung. Im September wird für immer Schluss sein auf „dem Pütt“, wie das Bergwerk hier genannt wird. Zum letzten Mal holen dann die Bergleute offiziell die begehrte Anthrazitkohle aus der Erde, die als eine der besten Sorten überhaupt gilt. „In Glanzzeiten wurde hier mehr Kohle gefördert als an der Ruhr“ erzählt Schrameyer, der längst das Nachfolgezeitalter der Kohle vorbereitet. Der Strukturwandel zu neuen Industrie- und Gewerbebetrieben läuft auf vollen Touren, Gewerbeflächen gibt es kaum noch. Die Arbeitslosigkeit liegt bei nur drei Prozent.

Schrameyer führt den Erfolg des Bergbaus in jüngster Zeit auch auf die Hilfe der 756 saarländischen Bergleute zurück, die nach dem Aus an der Saar ab 2010 Schritt für Schritt nach Ibbenbüren verlegt wurden. 40 davon fahren ihre Schicht bis zum letzten Tag. Die meisten Saar-Bergleute haben nach ihrer Rückkehr Rentenanspruch, für die übrigen gibt es bis dahin ein Anpassungsgeld. Bürgermeister Schrameyer würdigt ihr gezeigtes Engagement. „Ich danke den Saarländern dafür, dass sie bei uns waren. Sie haben uns dabei geholfen, den Bergbau voranzubringen. Sie haben unsere Stadt mit ihrer Präsenz und ihrem Engagement, auch in unseren Vereinen, bereichert“, bilanziert der Bürgermeister.

„Jeder Tag hier ist jetzt schon ein kleiner Abschied“, sagt Stefan Henrich, freigestellter Betriebsrat aus Blieskastel-Aßweiler. In der Stadt probt eine Theatergruppe für ein Musical über den Bergbau, das sie selbst geschrieben hat. Eine Fotoausstellung unter dem Titel „Zeitenwende“ dokumentiert in der Stadt das Auf und Ab des Bergbaus. Und in den Kommunen werden unter dem Motto „Wir sagen Danke“ gemeinsame Abschiedsfeste von Bergleuten und Bürgern gefeiert. Auch für die Saarländer sind die Zeiten jetzt vorbei, in denen man schon auf der Autobahn die vertrauten Kennzeichen aus SB, VK, SLS, NK oder HOM sehen konnte und sich spätestens auf der Schicht begrüßte.

Doch nicht nur unter Tage haben die Saarländer Spuren hinterlassen. Einige ihrer Aktionen sind schon legendär in Ibbenbüren. Manch einen haben sie in Erstaunen versetzt. Denn wenn man schon nicht an der Saar sein kann, dann muss man eben ein Stück Heimat mitbringen. Arbeitsdirektor Jörg Buhren-Ortmann und Betriebsratschef Uwe Wobben vom Bergwerk Ibbenbüren amüsieren sich köstlich über den Ideenreichtum der Saarländer. „Die ersten Bergleute, die zu uns gekommen sind, haben erst einmal unsere Kantine umgekrempelt. Plötzlich gab es Menüs und Karten auf den Tischen. Unser Koch hat sich mächtig ins Zeug gelegt“, schmunzelt Wobben. Infolgedessen gab es Angebote wie Kartoffelsuppe mit Nachschlag. Auch die 180-Gramm-Frikadellen wurden abgeschafft. „An ihre Stelle traten die Mollis: 300-Gramm-Frikadellen“, schwärmt Wobben. Auch Lyoner tauchte auf. Und sozusagen als i-Tüpfelchen sorgte Betriebsrat Stefan Henrich dafür, dass Getränkehändler in Erwartung mehrerer hundert Neukunden auch saarländisches Bier aus Homburg in das Sortiment aufnahmen. Sogar ein „Saarländerstammtisch“ im Lokal „Ledigs Anna“ am Markt gehörte bis vor Kurzem zu den Anlaufadressen. „An solchen Abenden standen dann auch mal Saarländer in der Küche“, so Betriebsratschef Wobben.

Auch Arbeitsdirektor Buhren-Ortmann wusste die Vorteile der westfälisch-saarländischen Kontaktpflege schnell zu schätzen. Bis heute bestellt er bei heimfahrenden Saarländern Wein. „Crémant gibt es bei uns in Westfalen nicht“, bedauert er. „Merguez kannte ich zuvor auch nicht. Käsegriller aus dem Saarland schmecken super lecker, Steaks ebenfalls.“ Natürlich hat der Arbeitsdirektor auch Grillfeten von Saarländern besucht. Doch all der Genuss hat seinen Preis: Auch im Fitnessstudio wird vielfach saarländisch geredet.

Die Zuverlässigkeit der Saarländer hat sich in der Region herumgesprochen, besonders bei Vermietern von Wohnungen. „Ich musste gerade eine 84-jährige rüstige Dame enttäuschen, die angefragt hatte, ob man noch mal einen Saarländer als Mieter schicken könnte“, sagt Wobben. „Die Vorteile liegen doch klar auf der Hand: Der Lohn kommt immer pünktlich, tagsüber sind die Saarländer auf der Arbeit und am Wochenende nicht da, weil zu Hause an der Saar.“ Große Probleme bei der Wohnungssuche gab es ohnehin nie. Für die 756 Saarländer haben Buhren-Ortmann und Woben mit einem Team über 2000 Wohnungsbesichtigungen organisiert.

Im Bergwerk treffen wir auf Jörg Himbert (49) aus Heusweiler-Kutzhof und seine Kameraden, die gerade von der Schicht kommen: rußverschmiert, abgekämpft auch wegen der Hitze, aber nach wie vor überzeugt vom Bergmannsberuf. „Ich bin 35 Jahre Bergmann. Das hat mich geprägt“, sagt Himbert. Er hat sich hochgekämpft vom gelernten Bergbaumechaniker bis zum Reviersteiger. Wohl kaum einer bei der RAG hätte gedacht, dass ausgerechnet ein Saarländer mal im letzten Abbaugebiet Deutschlands unter Tage die Verantwortung für seine Kollegen, die Sicherheit und die Erfüllung der Förder-Vorgaben trägt. „Bis zum letzten Tag wird voller Einsatz gebracht“, sagt Himbert. Am Ende werde man dann erhobenen Hauptes die letzte Lagerstätte verlassen. Das Ende des Bergbaus hält der Reviersteiger immer noch für falsch. „Deutschland macht sich energiepolitisch vollkommen abhängig vom Ausland. Alleine die Windkraft hat in den vergangenen zehn Jahren mehr Subventionen bekommen als der gesamte Bergbau. Das kann ich nicht nachvollziehen. Mit dem Bergbau macht man auch ein Stück Geschichte platt. Wir haben ihm viel zu verdanken.“

Holger Marquardt (48), Energieelektroniker aus Elversberg, versucht, die Arbeitsbedingungen locker zu sehen. „Bergbau ist Bergbau. Ich war auf der Grube Göttelborn, in Luisenthal, auf dem Nordschacht und seit 2010 in Ibbenbüren.“ Auch Marquardt findet: „Das Ende des Bergbaus ist zu radikal. Deutschland hat keine Energiereserven außer den erneuerbaren Energien. Das Ganze ist nicht durchdacht.“ Für Gerd Weidmann (55) aus St. Ingbert-Oberwürzbach endet das Kapitel Ibbenbüren in drei Wochen. Er kehrt zurück an die Saar, möchte aber die Erfahrungen nicht missen, auch privat. In seiner Freizeit hat sich der Naturfreund Naturschutzgebiete, botanische Gärten und Halden in Norddeutschland angesehen. Das Freizeitangebot im Tecklenburger Land ist vielfältig: von Premium Rad- und Wanderwegen über Städtetouren bis zur schnellen Erreichbarkeit der Nordsee. Deshalb sagt der freigestellte Betriebsrat Hüseyin Ünal (47) aus Völklingen: „Nach meiner Erfahrung sind die allermeisten Saarländer mit den Arbeitsbedingungen klar gekommen und haben sich hier auch wohlgefühlt.“

Uwe Szymanski (55) aus Saarbrücken-Altenkessel steuert seit dem 4. Oktober 2010 den Leitstand für die Kohleaufbereitung, hat zahlreiche Bildschirme und blinkende Lämpchen im Auge. „Ich habe mein ganzes Leben in der Aufbereitung verbracht: Luisenthal, Warndt, Nordschacht, heute Ibbenbüren.“ Auch er zählt die Tage und freut sich auf zu Hause. Dieses Zuhause bleibt für einige wie Maschinensteiger Georg Bauernfeind (57) aus Großrosseln auch künftig Ibbenbüren. Seine Frau ist zu ihm gezogen, das gerade erst gebaute Haus in Lebach haben sie verkauft.

 Stefan Henrich – hier mit Frau Sonja und Sohn Franz Benno – lädt saarländische Bergleute zur Grillfete eín. Seit 2010 gab es viele solcher Feste in Ibbenbüren.

Stefan Henrich – hier mit Frau Sonja und Sohn Franz Benno – lädt saarländische Bergleute zur Grillfete eín. Seit 2010 gab es viele solcher Feste in Ibbenbüren.

Foto: Thomas Sponticcia
 Georg Bauernfeind bleibt mit seiner Frau in Ibbenbüren. Beiden gefällt es dort. Ihr Haus in Lebach haben sie verkauft.

Georg Bauernfeind bleibt mit seiner Frau in Ibbenbüren. Beiden gefällt es dort. Ihr Haus in Lebach haben sie verkauft.

Foto: Thomas Sponticcia

Betriebsrat Henrich hat in Ibbenbüren auch seine Sonja kennen-, und lieben gelernt. Sie geht mit ihm ins Saarland. Sohn Franz Benno wird in Blieskastel den Kindergarten besuchen. Henrich tritt erst 2019 die Heimreise an, bleibt Ansprechpartner der Bergleute. Es gibt noch einiges zu tun. Maschinen werden abgebaut, Schächte verschlossen. Das Bergwerk wird besenrein übergeben. Außer Gebäuden bleibt nichts übrig vom Bergbau.

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