„Ich bin kein Held, sondern nur ein Mensch“

London · Der Obdachlose Stephen Jones war einer der ersten Helfer nach dem Anschlag von Manchester. Nun erhält er selbst Hilfe.

Erst dachte Stephen Jones, das Ende des Pop-Konzerts von Ariana Grande würde von einem Feuerwerk gekrönt. Da hatte er bereits auf der Straße sein Nachtlager aufgeschlagen. Wie so häufig wählte der Obdachlose (Screenshot: Justgiving.com) den Schutz der Manchester Arena. Doch als er nach dem lauten Knall die Schockwellen fühlte, realisierte er, dass es sich um eine Explosion im Innern der Konzerthalle handelte. Der 22-jährige Salman Abedi hatte sich in die Luft gesprengt und 22 Menschen mit in den Tod gerissen.

Jones rannte mit seinem Bekannten Chris Parker, der bettelnd im Foyer der Arena saß, zunächst instinktiv weg. Um dann zurückzukehren und im völlig zerstörten Eingangsbereich zu helfen. Den beiden bot sich ein Bild des Schreckens: Blutüberströmte Kinder, die weinten und schrien. "Wir mussten Nägel aus ihren Armen ziehen und ein paar aus dem Gesicht eines kleinen Mädchens", erinnert sich Jones. Eine Frau, die schwer verletzt wurde, starb in Parkers Armen. Ein Mädchen, das beide Beine verloren hat, hüllte er in Werbe-T-Shirts, die kurz zuvor noch verkauft wurden. "Ich konnte nicht aufhören zu weinen", sagt Parker, der seit einem Jahr auf der Straße lebt.

Die beiden Männer werden nicht nur seit Tagen in Großbritannien für ihren mutigen Einsatz gefeiert, sondern sollen nun auch belohnt werden. Eine Spendenkampagne via "Gofundme" für den 33-jährigen Chris Parker hat bereits mehr als 50 000 Pfund gesammelt. "Obdachlosigkeit ist in diesem Land eine weitverbreitete Tragödie, aber es ist absolut inakzeptabel, dass jemand, der in solch einer fürchterlichen Situation so heroisch reagierte, auf der Straße lebt", schrieb der Initiator der Kampagne, Michael Johns. Tausende Menschen spendeten zudem für Jones auf der Webseite "Justgiving". Und einer der reichsten Männer des Königreichs ist von der Geschichte derart berührt, dass er sich erkenntlich zeigen will. Der Miteigentümer des Premier-League-Clubs West Ham United, David Sullivan, und sein Sohn Dave wollen Jones für ein halbes Jahr eine Wohnung finanzieren. "Stephen war nur einer von hunderten Menschen, die nicht an ihre eigene Sicherheit gedacht haben, sondern anderen zur Hilfe geeilt sind", meinten sie. Für den 35-jährigen Jones beginnt nun offenbar ein neues Leben. Plötzlich bekommt er Einladungen zu Vorstellungsgesprächen. Auf der Straße wird er ständig erkannt. Menschen wollen Selfies mit ihm. "Es ist seltsam und völlig anders als das, was ich bisher erlebt habe", erzählt Jones. Normalerweise sitze er auf der Straße und niemand nehme Notiz von ihm: "Die Leute scheren alle Obdachlosen über einen Kamm und denken, dass wir kein Herz haben."

Derweil laufen noch immer die Ermittlungen zu möglichen Komplizen des Selbstmordattentäters. Es gab weitere Razzien, und noch immer sind acht Verdächtige in Polizeigewahrsam. In Libyen wurden der Vater sowie der jüngere Bruder von Abedi festgenommen, der laut Polizei von dem Anschlag wusste. Die Behörden gehen von einem islamistischen Netzwerk aus, das Abedi unterstützt hat. Nach wie vor gilt in Großbritannien deshalb die höchste Terrorwarnstufe. Auch der Konflikt zu den USA wurde wieder bereinigt. US-Dienste hatten Medien interne Ermittlungsergebnisse zugespielt und damit für reichlich Kritik und Ärger auf der Insel gesorgt. Aufgrund der laufenden Untersuchung wollte London forensische Aufnahmen noch geheim halten. Für kurze Zeit stoppten die Briten gar den Informationsaustausch. Nach einer Aussprache mit den Kollegen und "neuen Zusagen", dass den US-Behörden vertrauliches Material anvertraut werden könne, habe man die Zusammenarbeit wieder aufgenommen, gab der britische Chef-Ermittler Mark Rowley bekannt.

In Manchester versammelten sich auch gestern wieder tausende Menschen in der Innenstadt, um im Gedenken an die Opfer Blumen niederzulegen, Luftballons steigen zu lassen und gemeinsam zu trauern. Stephen Jones kommt ebenfalls regelmäßig vorbei. Er sei "überwältigt von all der Unterstützung", die er erhält. Dabei betonte er diese Woche mehrmals, dass er glauben will, dass auch andere in seiner Situation so gehandelt hätten: "Ich bin kein Held, sondern nur ein Mensch."

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