Harsche Worte gegen Verfassungsgericht

Prag. Er hat es getan. Nach monatelangem Zögern und Taktieren setzte der tschechische Staatschef Vaclav Klaus gestern seine Unterschrift unter den Reformvertrag von Lissabon. Damit endete eine Zitterpartie um die Zukunft der Europäischen Union. Zugleich kritisierte Klaus die Entscheidung der höchsten tschechischen Richter

Prag. Er hat es getan. Nach monatelangem Zögern und Taktieren setzte der tschechische Staatschef Vaclav Klaus gestern seine Unterschrift unter den Reformvertrag von Lissabon. Damit endete eine Zitterpartie um die Zukunft der Europäischen Union. Zugleich kritisierte Klaus die Entscheidung der höchsten tschechischen Richter. "Mit In-Kraft-Treten des Lissabon-Vertrags hört die Tschechische Republik auf, ein souveräner Staat zu sein", sagte Vaclav Klaus bei einer kurzen Pressekonferenz auf der Prager Burg. Seiner Unterschrift unter den EU-Reformvertrag sind monatelange Streitigkeiten vorhergegangen. Beobachter in Prag und Brüssel zeigen sich deshalb überrascht, dass Vaclav Klaus die Ratifizierung so schnell nach dem Verfassungsgerichts-Urteil vorgenommen hat.In seiner wenige Minuten langen Stellungnahme kritisierte Vaclav Klaus in harschen Worten das Urteil des tschechischen Verfassungsgerichts. "Ich kann mit seiner Form und seiner juristischen Qualität nicht übereinstimmen", sagte Vaclav Klaus. Ohne Gegenstimme haben zuvor die 15 tschechischen Verfassungsrichter erklärt, dass der Lissabon-Vertrag nicht mit der Landesverfassung kollidiere, wie die tschechischen EU-Kritiker argumentierten. Geklagt hatte eine Gruppe von Abgeordneten des Prager Senats, der oberen Kammer des Parlaments. Sie gaben an, dass Tschechien mit der Abtretung von Kompetenzen an Brüssel, die mit der Ratifizierung des Lissabon-Vertrag einher gehe, seine verfassungsrechtlich verankerte Souveränität einschränken müsse. Dieser Argumentation wollten die Richter indes nicht folgen. Der Vorsitzende Richter Pavel Rychetsky sagte in seiner Urteilsbegründung: "Die Übertragung von bestimmten Staatskompetenzen, die aus dem freien Willen des Souveräns entspringt und die weiterhin unter dessen Beteiligung ausgeübt werden, ist keine Schwächung der Souveränität, sondern kann im Gegenteil zu deren Stärkung beim gemeinsamen Vorgehen des integrierten Ganzen führen."Staatspräsident Vaclav Klaus warf den Richtern politische Motive bei ihrer Entscheidung vor. "Es handelt sich nicht um eine neutrale rechtliche Analyse, sondern eine voreingenommene politische Verteidigung des Lissabon-Vertrags. Das ist auch an der konfrontativen und absolut inadäquaten Weise der Präsentation des Urteils zu sehen", so Klaus. Er spielt damit auf die Äußerung Rychetskys an, der mahnte, die Politik müsse "ohne überflüssige Verzögerung" handeln. Indirekt griff der höchste tschechische Richter damit die Taktik des Präsidenten an, der immer neue Hindernisse vor die Ratifizierung des Lissabon-Vertrags aufgetürmt hatte.Indes gerät die auf Drängen von Staatspräsident Vaclav Klaus erfolgte Ausnahme Tschechiens bei der Grundrechte-Charta in die Kritik. Politiker fast aller Parteien haben ihre Befürchtungen ausgesprochen, dass die Tschechen dadurch künftig in der Europäischen Union rechtlich schlechter gestellt sein könnten. Klaus hatte die Ausnahme gefordert, damit die nach dem Krieg vertriebenen Sudetendeutschen nicht auf der Grundlage von europäischem Recht auf eine Rückgabe ihres enteigneten Besitzes klagen könnten. Mit der Grundrechte-Charta, so argumentierte der Präsident, sei der Fortbestand der so genannten Benes-Dekrete gefährdet. In der Grundrechte-Charta aber sind auch grundlegende Arbeitnehmerrechte und soziale Ansprüche festgeschrieben; diese werden nach Auffassung von Prager Juristen wegen der Ausnahmeregelung nicht für Tschechen gelten. "Mit In-Kraft-Treten des Lissabon-Vertrags hört die Tschechische Republik auf, ein souveräner Staat zu sein."Vaclav Klaus, Staatspräsident Tschechiens

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