Berlin Haarscharf an der Gerechtigkeit vorbei

Berlin · Frauen verdienen weniger als Männer – und dann müssen sie für manche Dinge auch noch mehr bezahlen. Das zeigt eine aktuelle Studie. Dennoch hält sich die Aufregung darüber in Grenzen.

 Die Schere geht auseinander: Für einen Haarschnitt zahlen Männer im Schnitt 12,50 Euro weniger als Frauen.

Die Schere geht auseinander: Für einen Haarschnitt zahlen Männer im Schnitt 12,50 Euro weniger als Frauen.

Foto: dpa/Carsten Rehder

() Rasierklingen in blauer Verpackung kosten 3,89 Euro, das exakt baugleiche Produkt in Pink kostet 4,49 Euro. Das Beispiel stammt aus der Studie „Preisdifferenzierung nach Geschlecht in Deutschland“, die die Antidiskriminierungsbeauftragte des Bundes, Christine Lüders, gestern in Berlin vorstellte. Damit liegt die erste Studie vor, die gezielt Geschlechts-Unterschiede beim Preis von Produkten und Dienstleistungen in Deutschland untersucht. Das Ergebnis: Frauen zahlen vor allem bei Dienstleistungen deutlich mehr als Männer, im Schnitt müssen sie 13,80 Euro mehr berappen.

„Wenn Verbraucherinnen und Verbraucher nur wegen ihres Geschlechtes für ein nahezu identisches Produkt mehr zahlen müssen, dann empfinden Menschen das zu Recht als ungerecht“, sagte Behördenleiterin Christine Lüders.

„Ein solcher Zuschlag ist schlicht nicht gerechtfertigt, und er ist auch nicht nötig.“ Eine derartige Preissetzung verstoße gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, stellt der Bericht klar. Betroffen sei aber nur ein recht geringer Teil der Konsumausgaben, weshalb von einer „grundsätzlichen Benachteiligung“ keine Rede sein könne, sagt die Mit-Autorin Iris an der Heiden. „Dafür ist es einfach ein zu seltenes Phänomen.“

Während im Bereich der 381 untersuchten Dienstleistungen Frauen bei 50 Prozent der untersuchten Angebote draufzahlen, zahlen Männer nur bei neun Prozent mehr (etwa bei der Haarentfernung mit Wachs). Der Zentralverband des Friseurhandwerks sieht darin keine Diskriminierung: „Bei Frauen wird hier in der Regel mehr Service nachgefragt“, sagt Hauptgeschäftsführer Jörg Müller.

Lüders überzeugt das nicht: „Die pauschale Bewertung, dass es bei den Frauen länger dauert, ist eben unzulässig“, sagt sie. Bei Waren gibt es solche Unterschiede seltener: Hier zahlen Frauen bei 2,3 Prozent der 1682 Produkte mehr, Männer bei 1,4 Prozent.

Was Verbraucherschützer und die Antidiskriminierungsstelle beklagen, betrachten Ökonomen ganz nüchtern. „Um der Unterschiedlichkeit von Verbraucherbedürfnissen nachzukommen, muss ein Unternehmen verschiedene Arten von Produkten anbieten. In diesem Fall sind es geschlechterspezifische Produkte, und das macht vom Grundsatz Sinn“, sagt Marketing-Experte Martin Fassnacht von der Wirtschaftshochschule WHU. Rentner und Studenten zahlten ja auch im Theater oder bei der Bahn Spezialtarife.

Auch Michael Schleusener von der Hochschule Niederrhein mag nicht von Diskriminierung sprechen. „Es ist logisch, beim Preis zwischen Männern und Frauen zu unterscheiden, wenn die bereit sind, unterschiedliche Preise zu zahlen“, sagt der Marketing-Experte. Mit anderen Worten: Wenn Frau Müller ein Produkt mehr wert ist als Herrn Meier, aber beide das Gleiche bezahlen, könnte man das genauso gut als unfair empfinden, weil einer von beiden etwas „geschenkt“ bekommt. Preise durch eine solche (vermeintlich) geschlechtsbedingt höhere „Preisbereitschaft“ verstoßen nach Einschätzung der Antidiskriminierungsstelle allerdings gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, das Diskriminierung unter anderem wegen des Geschlechts verbietet.

So oder so, Schlüsselreize nehmen uns Denkarbeit ab. „Wir haben ein, zwei Sekunden für eine Kaufentscheidung im Supermarkt“, sagt Schleusener. „Die Wirtschaft nutzt die Tatsache aus, dass wir unsere kognitive Anstrengung gerne herunterfahren und auf kleine Reize reagieren. Eine Verpackung in Rosatönen oder das Einsortieren an einer bestimmten Stelle im Regal vereinfacht und automatisiert so die Kaufentscheidung.

Unter diesen Umständen eine mögliche Benachteiligung zu erkennen, sei gar nicht so leicht, kritisiert Armin Valet von der Verbraucherzentrale Hamburg. „Weil wir ja auch manipuliert werden im Laden. Das läuft einfach sehr subtil, und es wird den Verbraucherinnen auch schwer gemacht.“

Viele Frauen stoßen sich allerdings offenbar gar nicht an dieser Praxis. Es gebe wenig Beschwerden über höhere Preise, berichten Verbraucherzentralen in mehreren Bundesländern auf Nachfrage. „Vereinzelt haben sich Frauen beschwert bei uns, gerade in der Kategorie Pflege, vor allem Rasiermittel, auch zum Teil über Preisunterschiede zwischen Kurzhaarschnitte für Frauen und Männer beim Friseur. Aber es war wirklich nur vereinzelt“, sagt Valet. Was Marketing-Experte Fassnacht nicht wundert: „Das ist wie mit der Coca-Cola-Flasche an verschiedenen Verkaufspunkten. Man ist das gewohnt und hinterfragt es nicht so stark.“

Also alles gar kein Problem? Doch, meint Sascha Verlan. Er beschäftigt sich als Autor („Die Rosa-Hell­blau-Falle“) mit dem Thema und hat den „Goldenen Zaunpfahl“ mit ins Leben gerufen, einen Negativpreis, der auf Geschlechterklischees in der Werbung hinweisen soll.

„Es heißt, Frauen seien bereit, für bestimmte Produkte mehr Geld auszugeben. Das mag stimmen, aber sie sind das ja nicht ab Geburt und aus sich heraus, sondern sie haben einen Sozialisationsprozess hinter sich, der von ihnen fordert, mehr in ihr Aussehen zu investieren, um möglichst schlank und glatt, ohne Körperhaare, faltenfrei etc. zu sein“, sagt er. Diskriminierung setze viel früher an. „Wir werden das in der Erwachsenenwelt nicht lösen, wenn wir es nicht in der Kindheit angehen.“

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