Große Schuhe für den Neuen

Berlin. An öffentliche Auftritte muss sich Johannes-Wilhelm Rörig wohl noch gewöhnen. Bei seiner ersten Pressekonferenz als neuer Missbrauchsbeauftragter der Bundesregierung gestern in Berlin wirkte der 52-jährige Ministerialdirigent zuweilen verhalten und las viel vom Blatt ab

Berlin. An öffentliche Auftritte muss sich Johannes-Wilhelm Rörig wohl noch gewöhnen. Bei seiner ersten Pressekonferenz als neuer Missbrauchsbeauftragter der Bundesregierung gestern in Berlin wirkte der 52-jährige Ministerialdirigent zuweilen verhalten und las viel vom Blatt ab. Vielleicht lag das an den großen Schuhen, die ihm seine Amtsvorgängerin Christine Bergmann hinterließ: Die ehemalige Bundesfamilienministerin hatte den Opfern sexueller Gewalt im Kindesalter fast zwei Jahre lang eine starke politische Stimme gegeben.Ihr Rückzug Ende Oktober löste deshalb bei Betroffenen-Initiativen schiere Verzweiflung aus, zumal seinerzeit auch noch kein Nachfolger in Sicht war. Mit Rörig wurde er auch erst in der Vorwoche gefunden. Als Notlösung versteht sich der verheiratete Vater zweier Kinder allerdings mitnichten. "Der Kindesmissbrauch muss weiter raus aus der Tabuzone und ans Licht der Öffentlichkeit gezerrt werden", erklärte er. Das klang fast wie ein persönlicher Kampfauftrag.

Zweifel bleiben trotzdem. Nach Einschätzung von Grünen-Fraktionsvize Ekin Deligöz, die mit am Runden Tisch saß, den die Bundesregierung im Frühjahr 2010 angesichts der damals immer häufiger aufgedeckten Missbrauchsfälle eingerichtet hatte, ist Rörig zwar ein guter Fachbeamter. "Aber für die Aufgabe braucht man einen politischen Gestalter und keinen Verwalter", kritisierte Deligöz. Tatsächlich ist Rörig eng mit der Berliner Ministerialbürokratie verwachsen. 13 Jahre lang arbeitete er im Bundesfamilienressort und war dort zuletzt Unterabteilungsleiter im Bereich Kinder und Jugend. Dabei entwickelte er unter anderem das Bundeskinderschutzgesetz mit sowie den Aktionsplan der Regierung zum Schutz Minderjähriger vor sexueller Gewalt. Seine enge Verbindung zu Bergmann könnte indes ein Pluspunkt sein. Rörig war schon Bergmanns Büroleiter, als sie 1990 Präsidentin der Berliner Stadtverordnetenversammlung wurde. Acht Jahre später leitete er Bergmanns Chefbüro im Familienministerium.

Rörig selbst hat sich viel vorgenommen. Als seine zentrale Aufgabe bezeichnete er die Umsetzung der Empfehlungen des Runden Tisches, die weitgehend auf den Vorstellungen Bergmanns beruhen. Im Kern geht es um eine rasche Entschädigung von Missbrauchsopfern und den besseren Schutz vor sexuellen Übergriffen. Regelmäßig will sich Rörig mit Betroffenen-Verbänden austauschen. Geplant sind Anhörungen zu Problemen, die aus Sicht der Opfer nur unzureichend vom Runden Tisch behandelt wurden. Darunter fallen zum Beispiel Hilfen für Therapien, die bislang auf maximal 10 000 Euro pro Fall begrenzt sind. Ungeklärt ist auch noch die finanzielle Beteiligung der Länder. Auch soll bis Ende 2012 ein Online-Hilfeportal aufgebaut werden, um Interessierte zu maßgeschneiderten Präventionsangeboten zu lotsen. Zudem will Rörig bis Februar des kommenden Jahres einen Fachbeirat ins Leben rufen, dem auch Bergmann angehören wird.

Bergmann sagt über ihren Nachfolger nur Gutes. Der Pressemappe war gestern ein kurzer Text beigefügt, in dem Bergmann feststellt: Die Berufung Rörigs gebe ihr "die Gewissheit, dass auch die weiteren Aufgaben jetzt entschlossen angegangen und umgesetzt werden".

Hintergrund

Der Runde Tisch "Sexueller Kindesmissbrauch" wurde im März 2010 von der Bundesregierung beschlossen. Anlass waren zahlreiche bekannt gewordene Missbrauchsfälle aus der Vergangenheit in staatlichen, privaten und kirchlichen Einrichtungen. Neben Politikern gehörten dem Gremium auch Experten aus Therapieeinrichtungen und Schulen an. Ende November wurde der Abschlussbericht präsentiert. Missbrauchsopfer sollen mit 100 Millionen Euro unterstützt werden. dapd

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