Große Dame der politischen Streitkultur

Köln. Auch im hohen Alter redet Hildegard Hamm-Brücher (Foto: dpa) Klartext, wenn es um die Verteidigung der demokratischen Streitkultur geht

Köln. Auch im hohen Alter redet Hildegard Hamm-Brücher (Foto: dpa) Klartext, wenn es um die Verteidigung der demokratischen Streitkultur geht. "In der heutigen FDP sind die jungen Leute lammfromm, sie drängen nicht auf inhaltliche Veränderung", forderte die Grande Dame des deutschen Liberalismus erst zu Wochenbeginn eine Kurskorrektur bei der FDP - just während die Führung um die personelle Neuaufstellung der krisengeschüttelten Partei rang. 54 Jahre lang war die FDP die politische Heimat Hamm-Brüchers, die heute 90 Jahre alt wird. Doch auch nach ihrem Parteiaustritt 2002 ist die gebürtige Essenerin geblieben, was sie stets war: eine streitbare Liberale.Die einstige Staatsministerin im Auswärtigen Amt und Kandidatin für das Bundespräsidentenamt gilt seit jeher als Querdenkerin. Hildegard Brücher wuchs in Berlin-Dahlem auf und lebte nach dem frühen Tod beider Eltern bei ihrer Großmutter in Dresden. 1940 begann sie ein Chemie-Studium in München, wo sie zum weiteren Kreis der "Weißen Rose" zählte, der Widerstandsgruppe um die Geschwister Scholl gegen die Nazi-Diktatur. 1948 wurde Brücher FDP-Mitglied. Bis 1954, dem Jahr ihrer Heirat mit dem CSU-Kommunalpolitiker Erwin Hamm, saß Brücher für die FDP im Münchner Stadtrat, außerdem war sie bis Mitte der 1960er Jahre und dann erneut in den 1970er Jahren Mitglied des Bayerischen Landtags. Im Freistaat löste sie 1964 den Sturz von CSU-Kultusminister Theodor Maunz wegen dessen NS-Vergangenheit aus.

Hamm-Brücher zog 1976 erstmals in den Bundestag ein und wurde in der sozialliberalen Koalition von SPD-Kanzler Helmut Schmidt parlamentarische Staatssekretärin im Auswärtigen Amt. Als die FDP 1982 aus dem Bündnis mit der SPD ausscherte, stellte sich Hamm-Brücher quer: Die damalige Wende der FDP hin zur Union sei nicht mit dem Versprechen an die Wähler vereinbar, mit der SPD zusammenzuarbeiten. Auch in den Folgejahren verärgerte die Verfechterin der sozialliberalen Koalition wiederholt die FDP-Führung - etwa 1984 mit der Forderung, die FDP solle die Koalition mit der Union aufgeben und nur noch von Fall zu Fall eine Minderheitsregierung von CDU-Kanzler Helmut Kohl unterstützen.

Nach mehr als 40 Jahren zog sich die konfliktbereite Freidemokratin nach der ersten gesamtdeutschen Bundestagswahl 1990 aus der Politik zurück - um 1994 im Alter von 73 Jahren für manchen überraschend ein Comeback zu versuchen: Hamm-Brücher trat für die FDP als Kandidatin bei der Bundespräsidentenwahl an.

Bei der Wahl zog die FDP Hamm-Brücher im dritten und entscheidenden Wahlgang zurück. Gewählt wurde der CDU-Kandidat Roman Herzog. 2002 erklärte die promovierte Chemikerin nach 54 Jahren ihren Austritt aus der FDP - weil die Parteiführung den rechtspopulistischen und antiisraelischen Kurs des damaligen Düsseldorfer Landesparteichefs Jürgen Möllemann geduldet habe.

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