„Gott ist wütend auf uns“

Bagdad/Sindschar · Wer nicht mit uns ist, muss sterben: Erschütternd einfach ist die Logik, mit der die Dschihadisten im Irak Andersgläubige wie die kurdischen Jesiden tyrannisieren. Wer es schafft, vor den radikalen Islamisten zu fliehen, kämpft fortan in den kargen Bergen und abseitigen Notunterkünften gegen Hunger – und Tod.

Als nach Tagen ohne Essen und Trinken ein irakischer Armeehubschrauber endlich die versprochenen Hilfspakete abwarf, glaubte Fares Sindschari Abu Iwan, endlich etwas zu Essen zu kriegen. Doch die Hilfslieferung landete inmitten von Bienenstöcken. Ohne Schutzausrüstung war es selbst dem an dem Umgang mit Bienen gewöhnten Imker nicht möglich, die Verpflegung zu bergen. "Es scheint, Gott ist wütend auf uns", sagt der 45-Jährige resigniert, der mit seiner alten Mutter und tausenden anderen Jesiden in den Bergen bei Sindschar festsitzt.

Die Stadt im Nordwesten des Irak war vor einer Woche von der Terror-Miliz Islamischer Staat (IS) überrannt worden. Tausende Angehörige der religiösen Minderheit der Jesiden flohen daraufhin in die kargen Berge. Den Dschihadisten gelten die Jesiden als "Teufelsanbeter", weil sie eine vom altpersischen Glauben des Zoroastrismus abgeleitete Religion praktizieren. Ebenso wie Schiiten, Christen und überhaupt allen Menschen, die nicht die engstirnige Islam-Auslegung der Dschihadisten teilen, droht ihnen Verfolgung und Tod.

Seine Frau und Tochter hat Abu Iwan mit seinem Bruder auf den langen Fußmarsch in die relative Sicherheit der Stadt Dohuk im autonomen Kurdengebiet geschickt, doch er selbst harrt mit seiner greisen Mutter in den Bergen aus. "Meine Mutter ist 80 Jahre alt und kann kaum gehen. Wir konnten sie nicht allein lassen, also brachten wir sie hier herauf", sagt der Imker am Telefon. Ebenso wie andere Flüchtlinge schaltet er sein Handy nur kurzzeitig für Gespräche mit Regierungsvertretern, Helfern oder Journalisten an, um Strom zu sparen. "Wir sind erschöpft, weil wir verhungern", sagt Abu Iwan. "Es gibt nichts hier."

Einige der Flüchtlinge hätten Schutz in alten Wohnhöhlen in einer der Schluchten gefunden. Doch der Gebirgszug, der sich nahe der syrischen Grenze über 60 Kilometer erstreckt, ist weitgehend unbewachsen und wasserlos. Anführer der Jesiden warnen, dass ihre Gemeinschaft durch Hunger ausgelöscht zu werden drohe. Die Berge zu verlassen ist gefährlich, denn in der Ebene warten die Kämpfer des Islamischen Staats, wie Abu Iwan berichtet. "Wir haben mit einigen gesprochen, die es bis in die Türkei geschafft haben. Doch auf der Flucht stießen sie auf IS-Kämpfer, die ihnen den Weg abschnitten", sagt der Imker. "Einige konnten fliehen, andere wurden getötet, weitere kehrten in die Berge zurück."

Rund 800 Jesiden schafften es laut den Behörden im Norden über die Grenze in die Türkei, weitere Familien wurden von kurdischen PKK-Kämpfern nach Syrien in Sicherheit gebracht. Besonders dramatisch ist die Lage der etwa 50 000 Jesiden, die bei mehr als 40 Grad und von der Außenwelt abgeschlossen im Sindschar-Gebirge ausharren müssen. Nach Angaben des Kinderhilfswerks Unicef starben dort schon Dutzende Kinder und hunderte ältere Menschen an den Folgen von Gewalt, Flucht und Wassermangel. Angesichts der Gefahr eines Völkermords ordnete US-Präsident Barack Obama inzwischen an, dass die US-Luftwaffe Hilfslieferungen über den Sindschar-Bergen abwirft.

Abu Iwan hat von der Hilfe der Amerikaner noch nichts gesehen. Doch nach dem ersten verfehlten Abwurf gab es doch noch "ein Geschenk aus der Luft", wie der Jeside berichtet. "Ein irakisches Flugzeug hat uns gerettet. Es beschoss IS-Kämpfer, als sie zu uns heraufkamen und kurz davor waren, uns zu finden."

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HintergrundIn Deutschland befindet sich die größte jesidische Exil-Gemeinde weltweit. Hierzulande leben zwischen 50 000 und 90 000 Jesiden, überwiegend in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen. Auch die religöse Gemeinde hier bleibt vom Hass radikaler Islamisten nicht verschont. In Herford kam es am Mittwoch zu schweren Auseinandersetzungen zwischen Jesiden und Sympathisanten der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) im Irak. Zu einer Protestveranstaltung heute in Bielefeld werden bis zu 10 000 Jesiden erwartet. dpa

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