Mehr Offenheit versprochen Giftiger Glyphosat-Streit soll eine Lehre sein

BRÜSSEL Der Glyphosat-Streit hat in Brüssel tiefe Spuren hinterlassen. Monatelang hatten die Mitgliedstaaten um eine Verlängerung des Herbizid-Einsatzes auf Europas Äckern gerungen, eine Millionen Bürger unterschrieben eine Petition gegen den Wirkstoff. Entschieden wurde der Streit Ende vergangenen Jahres nur durch einen billigen politischen Trick des damaligen deutschen Agrarministers von der CSU, der sich über die Einwände der SPD-Umweltministerin hinwegsetzte und in Brüssel die entscheidende deutsche Stimme für eine fünfjährige Verlängerung des Einsatzes lieferte. Zurück blieb verbrannte Erde.

Darunter leiden die beteiligten Institutionen und Spezialisten bis heute. Zweifel an der Gesundheitsschädlichkeit von Glyphosat kamen auf, nachdem die zuständige Abteilung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) das Herbizid als „wahrscheinlich krebserregend“ eingestuft hatte. Dagegen widersprachen sich die verschiedenen Gutachten der EU-Agenturen für Chemie und Lebensmittelsicherheit. Da deren Grundlage Studien sind, bei denen sich die Hersteller die Unbedenklichkeit ihrer Produkte selbst belegen, traute kaum noch jemand den amtlichen Behörden der EU. Das konnte und durfte der Brüsseler Kommission nicht gleichgültig bleiben. Denn wenn die Verbraucher nicht einmal mehr den Experten trauen, wem denn dann?

Insofern war der gestrige Vorstoß nicht nur überfällig, sondern  auch dringend nötig: Die Kommission musste dringend zeigen, dass ihnen jene Million Unterzeichner einer Petition gegen Glyphosat ebenso wenig egal ist wie all jene, die sich an öffentlichen Aktionen und Kampagnen gegen Pestizide auf den Äckern stark gemacht hatten. Kommission-Vize Frans Timmermans kündigte mehr „Transparenz bei der Entscheidungsfindung“ an. Nun will man „keine für die Unternehmen nachteiligen Studien zurückhalten“. Darüber hinaus will Brüssel die Wissenschaftler der Behörde für Lebensmittelsicherheit (Efsa) im italienischen Parma beauftragen, eigene Untersuchungen vorzunehmen, anstatt sich lediglich auf die Dokumentation zu stützen, die die Konzerne einreichen. Über ein öffentliches Register soll jeder Bürger der EU auf alle diese Papiere zugreifen können. Wer das bezahlt, ist noch unklar. Gestern hieß es, dafür würden Mittel aus dem Haushalt der Gemeinschaft zur Verfügung gestellt. Das klingt vielversprechend – vor allem angesichts der Tatsache, dass solche Erhebungen „jeweils zwischen mehreren tausend und mehreren Millionen Euro“ kosten. Dies hatte die Kommission selbst noch im Dezember als Argument gegen eigene Studien so festgestellt.

Der mündige Bürger nimmt keine  Verfügungen von oben mehr hin, wenn er das Gefühl hat, dass da vielleicht nicht sauber gearbeitet wird. Gegen solche Zweifel und Bedenken gibt es nur eines: Der ungute Verdacht von Mauscheleien muss beseitigt werden. Künftig wird also jeder nachlesen können, was wer wie belegt, um eine Zulassung für den europäischen Markt zu bekommen.

Was den interessierten Bürger dabei allerdings erwartet, ist fachlich gesehen nüchterne und schwer verdauliche Kost. Und dennoch bleibt der Schritt richtig, weil eine derart komplexe Entscheidung wie die Zulassung eines Herbizids nun einmal nicht für den Austausch oberflächlicher Parolen taugt. Und weil dann vielleicht zusätzlich klar wird, wer eigentlich welches politische Anliegen vertritt. Denn auch das hat der Glyphosat-Streit gezeigt: Nicht in jedem Fall ging es wirklich um dieses spezielle Pflanzengift. Wer eine Landwirtschaft ohne Pestizide erreichen will, sollte das auch offen sagen. Das Ziel ist zweifellos edel, die Landwirtschaft aber wurde beim Glyphosat einmal mehr nur zum Sündenbock gemacht.

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