Internationale Razzien Das Restaurant, der Transporter und die Mafia

Pulheim/Palermo · Am frühen Morgen schlagen die Ermittler zu, auch in Deutschland. Im Visier: die ’Ndrangheta. In Sizilien wird Cosa-Nostra-Boss Mineo verhaftet.

 D ie Rollläden an der Osteria in Pulheim sind verschlossen. Der Besitzer, ein mutmaßlich ranghöherer Mafioso, wurde bei einer Razzia abgeführt .

D ie Rollläden an der Osteria in Pulheim sind verschlossen. Der Besitzer, ein mutmaßlich ranghöherer Mafioso, wurde bei einer Razzia abgeführt .

Foto: dpa/Oliver Berg

Die europaweiten Schockwellen der Aktion „Pollino“ reichen bis ins beschauliche Pulheim vor den Toren Kölns. Polizisten durchsuchen dort gestern ein kleines italienisches Restaurant und das Einfamilienhaus eines 45-jährigen Verdächtigen. Dass hier gerade ein mutmaßlich ranghöherer Mafioso der mächtigen kalabrischen Mafiagruppe ’Ndrangheta abgeführt wurde, lässt sich nur an wenigen Details erahnen. So trägt die schwere schwarze Harley Davidson, die auf einen Abschlepper verladen wird, ein italienisches Kennzeichen.

Hunderte Polizisten waren gestern allein in Deutschland im Einsatz, wo gegen 47 Beschuldigte ermittelt wird. 14 von ihnen wurden festgenommen. 65 Objekte wurden durchsucht. Schwerpunkte waren in Nordrhein-Westfalen und Bayern. Während der Ermittlungen waren zuvor europaweit rund 4000 Kilogramm Kokain und beträchtliche Mengen Ecstasy beschlagnahmt worden. Insgesamt wurden in Deutschland und anderen Staaten fast 90 Verdächtige festgenommen.

Die Europäische Justizbehörde Eurojust koordinierte die internationale Aktion unter dem Decknamen „Pollino“: So heißt der italienische Nationalpark, in dem der Schmutzgeier heimisch ist, in dessen Nähe sich aber auch die Wiege der ’Ndrangheta befindet. Die steht im Verdacht, einen Großteil des weltweiten Kokainhandels abzuwickeln – zumindest die großen Mengen. Vor Ort überlässt man das Geschäft gerne Clans oder Rockergruppen, berichtet Autor David Schraven, der im vergangenen Jahr ein Buch zur „Mafia in Deutschland“ veröffentlicht hat.

Deutschland gilt als Geldwäscheparadies. Vermögen der ’Ndrangheta sei wohl gezielt und reichlich in den deutschen Immobilienmarkt geflossen, hatte die Bundesregierung im Juni berichtet. Im vergangenen Jahr hatte der Gesetzgeber nach langem Zögern reagiert und die Möglichkeiten verbessert, illegal erworbenes Vermögen zu beschlagnahmen. Das könnte dem mutmaßlichen Mafioso aus Pulheim nun zum Verhängnis werden, sollte er sein Motorrad zurückverlangen.

Die kalabrische ’Ndrangheta gilt als die inzwischen weltweit mächtigste italienische Mafia-Organisation. Experten beziffern ihren Umsatz mit kriminellen Geschäften auf 50 bis 100 Milliarden Euro im Jahr. Nach Angaben der US-Bundespolizei FBI hat die ’Ndrangheta weltweit etwa 6000 Mitglieder in 160 miteinander verbundenen Familien-Clans.

Lange wurde bezweifelt, dass Deutschland mehr ist als Drogenabsatzmarkt und Rückzugsgebiet für Mafiosi, denen es in ihrer Heimat zu brenzlig geworden ist. 2007 verstummten die Zweifler, als in Duisburg vor dem Restaurant „Da Bruno“ sechs Menschen im Kugelhagel starben. Auch dahinter steckte die ’Ndrangheta, wie schnell klar war.

Die Fehde zweier Mafia-Familien hatte in Duisburg einen blutigen Höhepunkt erreicht. Ein Streit zwischen dem Pelle-Vottari-Clan und dem Strangio-Nirta-Clan war der Auslöser. Das Blutbad war zugleich eine Art Betriebsunfall für die Mafia, die sonst sehr darauf achtet, unsichtbar zu bleiben, weil das besser für das Geschäft ist.

Seit langem warnen Ermittler in Italien davor, dass die ’Ndrangheta ein außerordentlich wichtiges Standbein in Deutschland gebildet hat. Im Sommer erklärte die nationale Anti-Mafia-Behörde, dass die kalabrische Mafia in Deutschland ähnliche Strukturen aufgebaut habe wie in ihrer Heimat. Was auch bedeutet, dass Politik und Wirtschaft akut gefährdet sind, von der Mafia infiltriert zu werden. Der gestrigen Aktion gingen aufwendige Ermittlungen der Behörden voran. Eine große Rolle hätten dabei Kokainfunde in Pferdetransportern gespielt, heißt es. Deswegen stand die Aktion in Deutschland unter einem eigenen Codewort: „Falabella“ – so heißen Miniponys aus Argentinien.

Einen besondere empfindlichen Schlag hat die italienische Polizei  der Mafia in Sizilien versetzt: Dutzende mutmaßliche Mitglieder der Cosa Nostra wurden festgenommen, unter ihnen der neue „Pate“ Settimino Mineo. Wie der mit den Ermittlungen betraute Staatsanwalt Francesco Lo Voi bei einer Pressekonferenz in Palermo sagte, nahmen die Fahnder bei den Razzien neben dem 80-jährigen Mineo insgesamt mindestens 45 weitere Verdächtige fest.

Die Ermittler werfen ihnen Erpressung, illegalen Waffenbesitz, Brandstiftung, Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung sowie weitere Verbrechen vor. Mit der Festnahme des 80-jährigen Mineo, alias „Zio Settimo“ (Onkel Settimo), treffen die Ermittler die Cosa Nostra in ihrer Führungsstruktur. Der Juwelier sollte den Platz des im vergangenen Jahr gestorbenen Toto Riina an der Spitze der kriminellen Organisation einnehmen. Mineo war der Boss im Bezirk Paglarelli bei Palermo.

Eine Cupola (Kuppel), auch Mafia-Kommission genannt, hatte im Mai getagt und Mineo auserkoren. Erstmals seit 1993 hatte die Cosa Nostra wieder eine solche Cupola der Bosse auf die Beine gestellt, wie italienische Medien berichteten. Bei den Razzien wurden außer Mineo drei weitere Teilnehmer des Geheimtreffens festgenommen. Alle vier Mafia-Bosse haben bereits mehrjährige Gefängnisstrafen verbüßt.

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