Wahlen für Parlament und Präsident Geschwächter Erdogan bleibt starker Mann

Ankara · Türkei-Wahl: Der amtierende Präsident gewinnt mit absoluter Mehrheit – seine Partei büßt Stimmen ein. Die Opposition spricht von „Manipulation“.

 AKP-Anhänger feierten gestern Abend die Wiederwahl des türkischen Präsidenten Erdogan nach der Verkündung der vorläufigen Ergebnisse.

AKP-Anhänger feierten gestern Abend die Wiederwahl des türkischen Präsidenten Erdogan nach der Verkündung der vorläufigen Ergebnisse.

Foto: dpa/Oliver Weiken

Die Fahnen schwenkenden Anhänger waren da, die Lautsprecher und die Gesänge vom starken Staatsmann Recep Tayyip Erdogan auch, selbst die Glückwünsche von Politikern aus dem In- und Ausland trafen ein. Doch der türkische Präsident zögerte gestern Abend nach den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen mit seiner angekündigten Siegesrede. Erst am späten Abend wandte sich der Staatschef in Istanbul an seine Anhänger und sprach von einem historischen Erfolg.

Denn obwohl Erdogan die Präsidentenwahl mit rund 53 Prozent der Stimmen klar gewann, sackte seine erfolgsverwöhnte Regierungspartei AKP im Vergleich zur letzten Wahl um sieben Prozentpunkte ab und verlor ihre Parlamentsmehrheit. Ab sofort muss Erdogan mit Hilfe der Nationalisten-Partei MHP regieren.

Erdogan sprach von einer „großen Verantwortung“ für sich selbst und für die Mehrheitsfraktionen im Parlament. Die Wahl habe die Stärke der Demokratie in der Türkei unter Beweis gestellt. Über die Beschwerden der Opposition sagte er, die Einsprüche gegen die Resultate könnten dem Land schaden. In Zukunft werde die Türkei „in allen Bereichen“ gestärkt werden. Niemand solle ausgegrenzt werden, sagte der Präsident.

Kritiker werfen Erdogan vor, zunehmend autokratisch zu regieren und den Druck auf Andersdenkende in den vergangenen Jahren drastisch erhöht zu haben. Mit der Wahl wurde in der Türkei ein Präsidialsystem in Kraft gesetzt, das Erdogan weitreichende Machtbefugnisse einräumt. Die Rechte des Parlaments werden beschnitten. So ist die Regierung künftig nicht mehr der Volksvertretung verantwortlich, sondern dem Präsidenten. Erdogan hat eine Verkleinerung des Kabinetts und eine effiziente Regierungsarbeit angekündigt. Der 64-jährige Erdogan hat mit der Wahl sein politisches Traumziel erreicht. Er kann nun in zwei Amtsperioden bis maximal 2028 regieren.

Die türkische Opposition lief unterdessen Sturm gegen die Teilergebnisse, die von der regierungsnahen staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu verbreitet wurden. „Glaubt Anadolu nicht!“, schrieb Erdogans Herausforderer bei der Präsidentenwahl, Muharrem Ince, auf Twitter. Nicht überall erwiesen sich die Beschwerden über Unregelmäßigkeiten der Regierungsseite als richtig. So war berichtet worden, dass Unbekannte im südostanatolischen Diyarbakir versucht hätten, tausend Stimmzettel in ein Wahllokal zu schleusen – doch ein kurdischer Parlamentsabgeordneter stellte bei einem Besuch vor Ort fest, dass die Wahlzettel aufgrund eines Missverständnisses angeliefert worden waren. Inces Partei CHP erklärte, sie erkenne das Ergebnis nicht an. Im Laufe des Abends glichen sich die Zahlen von Anadolu und die des von der Opposition getragenen Stimmzähl-Systems Adil Secim allerdings immer mehr an. Der klare Sieg Erdogans war am Ende unumstritten. Auch bei der Stimmenverteilung der verschiedenen Parteien im Parlament ergab sich rund fünf Stunden nach Schließung der Wahllokale ein einigermaßen übereinstimmendes Bild: Demnach kommt die AKP auf etwa 297 von 600 Sitzen im Parlament und verpasst damit die absolute Mehrheit der Mandate knapp. Sie muss deshalb mit der rechten MHP koalieren, mit der sie ein Wahlbündnis geschlossen hatte. Das Ergebnis könnte eine weitere Verhärtung der türkischen Politik etwa in der Kurdenfrage sein.

Die türkische Opposition verpasste ihre Hauptziele, Erdogan bei der Präsidentschaftswahl in eine Stichwahl am 8. Juli zu zwingen und im Parlament eine Mehrheit der Erdogan-Gegner zusammenzubringen.

Nach einem engagierten Wahlkampf, der bei einem Teil der 56 Millionen Wähler eine Wechselstimmung weckte, hoffte die Opposition auf ein Ende der 16-jährigen Herrschaft von Erdogan und der AKP. Die Wahlbeteiligung erreichte wohl nicht grundlos einen Rekordwert von 87 Prozent. Anders als bei Wahlen in den vergangenen Jahren waren die Erdogan-Gegner diesmal davon überzeugt, dass eine politische Veränderung gelingen könnte. Am Ende reichte es jedoch nicht.

Die Polarisierung innerhalb der türkischen Gesellschaft zeigte sich gestern in Großstädten wie Istanbul und Ankara deutlich: Hier stimmte jeweils rund die eine Hälfte der Wähler für und die andere Hälfte gegen den Präsidenten.

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