Verhandlungsende jetzt Sonntag Genervt, müde und ohne frisches Hemd

Berlin · Die Jamaika-Sondierungen kommen auch nach vier Wochen auf keinen Nenner. Also wird weiter verhandelt – bis Sonntag?

 Die Jamaika-Koalitionen kommen auch nach vier Wochen auf keinen Nenner.

Die Jamaika-Koalitionen kommen auch nach vier Wochen auf keinen Nenner.

Foto: dpa/Ralf Hirschberger

Als die Sondierer nach ein paar Stunden „mentaler Pause“, wie einer grinsend sagt, am Mittag im Konrad-Adenauer-Haus der CDU wieder zusammenkommen, haben sich die düsteren Wolken verzogen. Die Sonne strahlt, der Himmel über Berlin ist wunderbar blau. Nur eben noch nicht über „Jamaika“.

Kanzlerin Angela Merkel sieht müde und angeschlagen aus. Die 15 Stunden, die vorher verhandelt wurden, stecken ihr sichtlich in den Knochen. Dennoch gibt sie sich nach der überraschenden Verlängerung der Sondierungen von Union, FDP und Grünen optimistisch. „Es lohnt sich, Runde zwei nochmal zu drehen“, sagt sie nach ihrer Ankunft zu den wartenden Journalisten. Von Merkel wird berichtet, sie habe beim Verhandlungsmarathon in der Nacht zuvor versucht, Kompromisse auszuloten und zu vermitteln – „um dann doch an ihre Grenzen zu stoßen“. Merkels Kalkül, wie bei den EU-Beratungen in Brüssel Entscheidungen unter Zeitdruck zur späten Stunde zu erzwingen, ist nicht aufgegangen. „Am Ende schien sie durchaus frustriert.“ Kein Wunder, das Zustandekommen einer Jamaika-Koalition ist womöglich auch eng verknüpft mit ihrem politischen Überleben.

Als man genervt auseinandergeht, zeigt die Uhr in der Parlamenta­rischen Gesellschaft kurz nach halb fünf am Freitagmorgen. Immer wieder kommt es bei den Gesprächen zu persönlichen Attacken, zu Nickligkeiten insbesondere zwischen Grünen und CSU, „die über die Sache hinausgegangen sind“, verrät ein Verhandler. Die psychologische Kriegsführung findet auch über den Kurznachrichtendienst Twitter statt: Zum Beispiel postet der Grüne Jürgen Trittin gegen ein Uhr nachts ein Musikvideo. Titel: „The harder they come – the harder they fall.“ Je härter sie kommen, desto härter fallen sie. Gemeint ist die CSU. Bei den Christsozialen ist man empört. Dann wird gestreut, zwischen Parteichef Horst Seehofer und Landesgruppenchef Alexander Dobrindt tobe ein Machtkampf um einen möglichen Kompromiss beim besonders strittigen Thema des Familiennachzugs. „Das ist ein glatte Lüge“, faucht CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer. „Schlecht übereinander zu reden, sollte man gleich am Anfang unterbinden“, rät NRW-Ministerpräsident Armin Laschet später weise.

Auch wenn aus Verhandlungskreisen zu hören ist, dass mit Stichtag Freitag an die 100 Punkte offen sind, am Streit über den Familiennachzug und die Obergrenze von Flüchtlingen hängt Jamaika. „Wenn das nicht gelöst ist, macht alles andere keinen Sinn“, soll Seehofer als Parole ausgegeben haben. Es ist freilich die CSU, die sich nicht bewegen will. Hinzu kommt, dass sich die Beteiligten auch nach vier Wochen nicht über den Weg trauen. Oder wie ein Liberaler formuliert: „Wir stoßen an unsere kulturellen Grenzen.“ Kanzleramtsminister Peter Altmaier (CDU), der federführend ein 61-seitiges Ergebnispapier erarbeitet hat, kann sein Werk zur späten Stunde wieder einpacken, weil die Verhandlungen vertagt werden müssen.

Die bisherigen Jamaika-Sondierungen haben auch die Mitarbeiter der Parlamentarischen Gesellschaft an die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit gebracht. Kaum einer, der nicht immense Überstunden angehäuft hat. Also lädt Merkel zur Fortsetzung der Gespräche kurzerhand in die CDU-Parteizentrale ein. 

FDP-Chef Christian Lindner, der nach seiner Ankunft schweigt, was ungewöhnlich ist, sowie die Kanzlerin und Seehofer sind gegen elf Uhr die ersten, die das Konrad-Adenauer-Haus betreten. Die drei beraten vorab ohne die Spitzen der Grünen. Ein Affront? „Das ist abgestimmt“, wehrt später die Grüne Katrin Göring-Eckardt ab. „Vielleicht sind jetzt alle ein wenig abgekühlt.“ Seehofer betont: „Es lohnt sich, dass wir in die Verlängerung gehen.“ Und selbst Dobrindt, als „Grünenfresser“ verschrien, erklärt: „Heute ist für uns Black Friday, vielleicht läuft es besser.“ Der „schwarze Freitag“, der Tag, an dem sonst der Handel einmalige Rabatte anbietet. Bei den Sondierungen müssen also an diesem Wochenende die Angebote auf den Tisch. Aus Unionskreisen wird ein Ablaufplan gestreut, der Gespräche bis Sonntag vorsieht. Sicher ist das nicht.

Offenbar auch aus ganz profanen Gründen sehnt mancher das Ende herbei. FDP-Vize Wolfgang Kubicki erzählt, er sei in den letzten drei Wochen nicht zum Waschen gekommen. Deshalb habe er seine Frau in Kiel angerufen, „dass sie mir neue Hemden bringt“. Doch die denkt nicht daran. Ihr Mann könne das Problem „auch ohne mich lösen“, lehnt Kubickis Ehefrau dankend ab. Klingt nach einer weiteren misslungenen Sondierung.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort