Weimarer Republik Die verratene Revolution von 1918

Berlin · Heute vor 100 Jahren entstand Deutschlands erste Demokratie. Dem Aufbruch folgte bald die Enttäuschung.

 Eine Nachstellung der berühmten Szene vom 9. November 1918: Von einem Reichstags-Fenster aus ruft Philipp Scheidemann die Republik aus.

Eine Nachstellung der berühmten Szene vom 9. November 1918: Von einem Reichstags-Fenster aus ruft Philipp Scheidemann die Republik aus.

Foto: dpa/-

Der deutsche Kaiser sitzt vor 100 Jahren mittags im Zug in Spa. Im belgischen Kurort, wo die Oberste Heeresleitung (OHL) ihr Hauptquartier eingerichtet hat, berät Wilhelm II. am 9. November 1918 über einen Waffenstillstand. Da erreicht ihn die Nachricht aus Berlin: Prinz Max von Baden, sein Neffe und Reichskanzler, habe gerade seine Abdankung bekanntgegeben. Wilhelm versteht die Welt nicht mehr. „Dass ein Prinz von Baden den König von Preußen gestürzt...“ Den Satz bringt er nicht zu Ende. „Verrat, schamloser, empörender Verrat“, erregt er sich.

An diesem Novembermorgen geht die deutsche Monarchie unter – ohne Guillotine, Schafott und Blutvergießen. Um 14 Uhr tritt in Berlin Philipp Scheidemann vor ein Fenster im Westflügel des Reichstags. „Wir haben auf der ganzen Linie gesiegt, das Alte ist nicht mehr“, ruft der Sozialdemokrat den versammelten Menschen auf dem Platz zu und verkündet die Republik. Zwei Stunden später ruft im Hohenzollernschloss der Spartakist Karl Liebknecht die „freie sozialistische Republik“ aus. Noch am selben Tag überträgt Max von Baden dem Führer der Mehrheits-SPD, Friedrich Ebert, die Kanzlerschaft.

Mit der absehbaren Kapitulation herrscht im Land Aufruhrstimmung. Überall bilden sich Arbeiter- und Soldatenräte. Die Eliten befürchten, dass Deutschland von Russland angesteckt wird. Ein Jahr zuvor haben Lenin und die Bolschewiki dort die Macht übernommen.

Das Schicksal des Reichs ist nach vier Jahren Erster Weltkrieg quasi besiegelt. Die Heeresleitung um Paul von Hindenburg und Erich Ludendorff weiß, dass der Krieg nicht mehr zu gewinnen ist. Sie verlangt die Aufnahme von Verhandlungen mit den Alliierten und eine von der Reichstagsmehrheit, also der SPD, abhängigen Regierung. Die Reform „von oben“ sollte der Revolution „von unten“ zuvorkommen“, schreibt der Historiker Volker Ullrich. Es ist Ludendorffs letzter Schachzug. Im Bestreben, seine Haut und das Prestige der Militärs zu retten drängt er darauf, die Opposition an der Regierung zu beteiligen.

Zwar stimmt der Kaiser der „Parlamentarisierung“ zu. Aber es hilft nichts. Immer mehr Menschen spüren Hunger und Entbehrung. Der Funke zündet zuerst an der Küste. Auf den Kampfschiffen der Kaiserlichen Marine erleben die Matrosen die Willkür hautnah. Am 28. Oktober ordnet Admiral Reinhard Scheer an, gegen die Royal Navy auszulaufen. In einen aussichtslosen Kampf. Die Besatzungen verweigern sich – und rebellieren. Wie in Kiel und Wilhelmshaven wehen bald in ganz Deutschland rote Fahnen.

Dem neuen Kanzler Ebert ist alles andere als nach Revolution zumute. Sich abseits zu stellen, ist allerdings keine Alternative. Am 10. November konstituiert sich der Rat der Volksbeauftragten. Am 11. wird der Waffenstillstand unterzeichnet. Die Regierung verspricht, für Ordnung zu sorgen. Ebert sucht die Zusammenarbeit mit Ludendorffs Nachfolger als Heeres-Chef, Wilhelm Groener. Das Militär wird wichtigste Ordnungsmacht.

Sorgen bereiten der Mehrheits-SPD die ganz Linken, die Spartakisten, die die Revolution weitertreiben wollen. Liebknecht und seine Mitstreiterin Rosa Luxemburg lehnen eine Zusammenarbeit mit der SPD ab. Ende Dezember gründen sie die Kommunistische Partei Deutschlands – Spartakusbund.

Der revolutionäre Elan erlischt so schnell nicht. Am 23. Dezember besetzen Matrosen die Reichskanzlei und die Stadtkommandantur. Ebert fordert militärische Hilfe an. Bei den Kämpfen kommen Matrosen wie Gardesoldaten ums Leben. Nach diesen „Blutweihnachten“ bricht die Regierungskoalition.

In die neue Regierung beruft Ebert seinen Parteigenossen Gustav Noske. Der Reichswehrminister führt die Niederschlagung der Unruhen der nächsten Monaten an. Er bedient sich dabei der neu formierten Freikorps. Ihnen fallen am 15. Januar Luxemburg und Liebknecht zum Opfer. Die Bluttat verschärft die Spaltung unter den Linken.

In den Folgemonaten konstituiert sich die Nationalversammlung in Weimar, um eine Verfassung zu entwerfen. Sie wählt Ebert zum Reichspräsidenten. Zwar schafft es die junge Republik, den Umriss einer liberalen Ordnung zu schaffen, doch die alten Strukturen bleiben unangetastet. „Da regiert der Bürger in seiner übelsten Gestalt. Da regiert der Offizier alten Stils. Da regiert der Beamte des alten Regimes“, schreibt Kurt Tucholsky 1920.

Dabei erlebt Deutschland in der Weimarer Zeit die kulturelle Blüte einer sich öffnenden Gesellschaft. Doch unter den Deutschen verstärkt sich das Gefühl, von den Siegermächten betrogen worden zu sein. Der als „Diktat“ empfundene Friedensvertrag von Versailles, der im Juni 1919 unterschrieben wird, enthält neben hohen Reparationen auch größere Gebietsverluste. So höhlt allmählich die Fundamentalopposition gegen das „System von Weimar“ die erste deutsche Demokratie aus. An der verratenen Revolution von 1918/19, so schreibt Haffner Ende der 60er-Jahre, krankt Deutschland bis heute.

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