Frankreich Im Griff der gelben Weste

Paris · Die französische Regierung setzt die umstrittene Öko-Steuer auf Sprit aus. Doch die Demonstranten wollen mehr.

.

.

Foto: SZ

Edouard Philippe ist so etwas wie der letzte Schutzwall vor Emmanuel Macron. Der groß gewachsene Premierminister muss sich immer vor den Staatschef stellen, wenn es brenzlig wird. Oder wenn es schon brennt – wie zuletzt in Paris. Auch in der schwersten Krise seiner Amtszeit, wie es in Frankreich gewertet wird, schickte der Präsident seinen Regierungschef vor, um mit einer Reihe von Ankündigungen die Proteste der „Gelben Westen“ einzudämmen. „Zehntausende Franzosen drücken ihre Wut aus. Man muss taub und blind sein, um diese Wut nicht zu hören“, begann der 48-Jährige gestern seine kurze Fernsehansprache. Es war eine Art „Mea Culpa“ des früheren Konservativen, der lange zumindest schwerhörig gegen die Forderungen der Demonstranten war. Noch Mitte November hatte Philippe angekündigt, dass es bei der umstrittenen Ökosteuer keinen Kurswechsel geben werde. Seine strikte Haltung fachte die Proteste erst recht an.

Deshalb ging der Premierminister nun auf einige Forderungen der „Gilets jaunes“ ein. So soll die für Januar geplante Erhöhung der Ökosteuer auf Benzin und Diesel, die die Proteste Mitte November erst ausgelöst hatte, für sechs Monate ausgesetzt werden. Noch wichtiger dürfte für die meisten Franzosen sein, dass auch die geplante Erhöhung der Strom- und Gaspreise erst einmal verschoben wird. Außerdem sollen in einer landesweiten Debatte die Steuern und öffentlichen Ausgaben auf den Prüfstand gestellt werden. „Das soll wieder Ruhe schaffen“, sagte Philippe, nachdem am Samstag ganze Stadtteile von Paris durch die Gewalt der „Gelbwesten“ im Chaos versunken waren. „Keine Steuer ist es wert, die Einheit der Nation in Gefahr zu bringen.“

Durch die Straßenblockaden und Demonstrationen der „Gilets jaunes“ starben binnen drei Wochen bereits vier Menschen, 260 wurden allein am vergangenen Wochenende verletzt. Am Montag schlossen sich Gymnasiasten und Krankenwagenfahrer den Protesten an. Für nächste Woche haben die Bauern Kundgebungen angekündigt. Es droht eine allgemeine Protestbewegung, die für Macron brandgefährlich wird. Wie ernst die Lage ist, zeigten die Gespräche, die Philippe am Montag mit Vertretern aus Parteien und Gruppen führte. Solche Konsultationen gab es zuletzt nach den Terror-Anschlägen von 2015. Die Sozialisten forderten hernach eine Erhöhung des Mindestlohns und der Renten für Geringverdiener. Rechtspopulistin Marine Le Pen verlangte ebenso wie die Linksaußenpartei Neuwahlen. Le Pen profitiert am meisten von der an sich unpolitischen Bewegung der „Gelbwesten“: Die Zustimmungswerte ihrer Partei stiegen laut ifop-Umfrage um fünf Punkte auf 33 Prozent, während Macron auf 23 Prozent absackte.

Philippes Ankündigungen dürften an der Entwicklung kaum etwas ändern. Die „Gilets jaunes“ zeigten sich unzufrieden mit den Versprechen, die den Staat immerhin zwei Milliarden Euro kosten. „Wir sind keine Spatzen, die Brotkrumen aufpicken. Wir wollen das ganze Baguette“, sagte Sprecher Benjamin Cauchy im Fernsehen. Seine Bewegung erwarte, dass die Ökosteuer, mit der Maßnahmen gegen den Klimawandel finanziert werden sollen, komplett abgeschafft werde. Außerdem müsse das ganze Steuersystem neu gestaltet werden.

Cauchy gehört zum gemäßigten Flügel der „Gelbwesten“, der einen Dialog mit der Regierung will. Die Bereitschaft dazu brachte ihm und Gleichgesinnten indes Todesdrohungen von radikalen Mitgliedern der Bewegung ein. Die Angst um die eigene Sicherheit war so groß, dass die gemäßigten Vertreter ein Treffen mit Philippe gestern absagten. Statt dessen plant die Bewegung nun die nächste Demonstration am kommenden Samstag in Paris. Der Polizeipräfekt scheint bereits neue Gewalt zu befürchten: Er ließ das Erstliga-Fußballspiel von Paris Saint-Germain gegen Montpellier vorsorglich absagen.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort