Nach dem Jamaika-Aus Frankreich macht sich Sorgen um den Nachbarn

Paris/Brüssel · Staatspräsident Macron kann nicht nur gut mit Kanzlerin Merkel, er braucht sie auch für seine europäischen Reform-Pläne. Das Jamaika-Aus ist daher ein Schock für Paris. Auch der EU droht die Lähmung in wichtigen Zeiten.

Die Karikatur zeigt Emmanuel Macron und Angela Merkel beim Eiskunstlauf. Während der französische Präsident eine elegante Figur abgibt, strampelt die Bundeskanzlerin bei der Hebefigur ungelenk mit beiden Beinen in der Luft. „Europa: Aufschub für die Aufgabe von Macron“ titelt die Zeitung „Opinion“ zu der Zeichnung. Denn dass der Abbruch der Jamaika-Verhandlungen in Berlin kein gutes Zeichen für die Europa-Pläne des Staatschefs in Paris sind, ist in Frankreich allen klar. Nur zwei Tage nach der Bundestagswahl hatte Macron in einer engagierten Rede an der Sorbonne eine „Neugründung“ der EU gefordert, die er gemeinsam mit Merkel in Angriff nehmen wollte. Doch die in Frankreich beliebte Kanzlerin ist nun so angeschlagen, dass sie für das ehrgeizige Projekt kaum noch als Partnerin taugt.

„Präsident Macron und viele andere erwarteten von der vierten Amtszeit Merkels den Schlüssel zu einem unerlässlichen Neustart Europas. Sie finden sich mit einer Frau wieder, die die Geschäfte führt und deren politische Zukunft so wenig sicher erscheint wie die von Theresa May“, schreibt die konservative Zeitung „Le Figaro“. Dabei hatte es nach Macrons Wahl so ausgesehen, als sei der Moment für Veränderungen gekommen: Eine Neuauflage der Großen Koalition mit der SPD sollte seine Pläne in Berlin durchsetzen helfen, so seine Wunschvorstellung. Bei einem Gipfeltreffen im Dezember sollten die Reformen erstmals in großer Runde erörtert werden, bevor es dann in der ersten Jahreshälfte 2018 an die Umsetzung gehen sollte. Eine Rundumerneuerung der alten Dame Europa soll es also werden – gerade rechtzeitig vor dem Europawahlkampf 2019.

„Wichtig ist, dass wir dieselbe Gesprächspartnerin behalten, nämlich die Kanzlerin“, hieß es nach der Bundestagswahl im Elysée. Doch selbst das ist inzwischen nicht mehr sicher. Aus Macrons Feuerwerk der Ideen droht deshalb nur ein kleiner Knallfrosch zu werden. Denn Deutschland und Frankreich sind wieder einmal nicht im Takt. Auf der einen Seite jugendliche Ungeduld, auf der anderen Stillstand. Dabei war es jahrelang Merkel gewesen, die auf Bewegung beim Nachbarn gewartet hatte. Die Kanzlerin hatte sich nach einem Präsidenten gesehnt, der die eigenen Staatsfinanzen in Ordnung bringt und mit ihr die EU anführt. Nicolas Sarkozy war dafür zu sehr auf Selbstinszenierung bedacht und François Hollande zu schwach. Erst mit Macron zog ein Staatschef in den Elysée ein, der Deutschland als echten Partner ansah und für eine Beziehung auf Augenhöhe auch zu bitteren Reformen bereit war. Doch für Merkel kam der 39-Jährige fast schon zu spät. M und M, wie die beiden genannt werden, demonstrierten zwar bei jeder Gelegenheit Einigkeit. Doch wirkliche Veränderungen konnten Deutschland und Frankreich nicht anstoßen, da der Bundeskanzlerin durch die Koalitionsverhandlungen die Hände gebunden waren.

Deren Scheitern blockiert nun Macrons Europapläne – vielleicht sogar bis nach der Europawahl. Noch bewahren sich die französischen Pro-Europäer einen kleinen Funken Hoffnung. Schließlich war ja vor allem die FDP der Bremsklotz für das Projekt des Präsidenten. „Wenn sie (Merkel) sich mit den Liberalen verbündet, bin ich tot“, zitierte „Le Monde“ Macron vor der Bundestagswahl. Vergangene Woche beschwor er das Engagement aller künftigen Koalitionäre für eine Erneuerung des europäischen Projekts. Eine Bemerkung, die klar auf die FDP gemünzt war. „Was, wenn da Scheitern der Jamaika-Koalition nicht zwangsweise eine schlechte Nachricht wäre?“ fragt die Zeitung „Libération“. Ohne die FDP habe die Kanzlerin schließlich freie Hand in der Europapolitik. „Wenn die Kanzlerin aus dieser schwierigen Situation herausfindet, könnte sie einige heilige Kühe Deutschlands über Bord werfen. Und die Integration der Eurozone vollenden.“ Bis dahin ist es allerdings noch ein weiter Weg. Vor allem in Berlin.

Trotz dieser ungewissen Wegstrecke: Anders als Frankreich gibt sich die EU-Spitze schon erholt vom Jamaika-Schock. „Europa wird nicht pausieren“, sagt Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker gestern. Er werde die Reformen der Union vorantreiben. Das ist indes leichter gesagt als getan, wenn die deutsche Stimme auf europäischer Ebene zunächst zurückhaltender ausfällt.

Das lähmt die EU auch abseits der Reformpläne von Macron und Juncker. In den nächsten Wochen stehen wichtige Gipfeltreffen zunächst mit den osteuropäischen Partnern und anschließend mit Afrika an – ein Lieblingskind Merkels. Im Dezember wollen die EU-Chefs auch das neue Verteidigungsbündnis „Pesco“ beschließen. Außerdem stehen Entscheidungen über die Fortschritte beim Brexit an. Eine längere Regierungskrise im größten und wichtigsten EU-Land würde, so wird in Brüssel spekuliert, die Gemeinschaft nicht nur lähmen, sondern ausgerechnet umstrittenen Staatsführern wie Trump, Putin oder Erdogan das Feld überlassen.

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