Flüchtlingspolitik lässt Stimmung in der Koalition brodeln

Berlin · Das hätte man noch vor wenigen Tagen nicht für möglich gehalten: Deutschland führt wegen des Zuzugs vieler tausend Flüchtlinge wieder Grenzkontrollen durch. Das sorgt auch in der Koalition für Irritationen.

Ralf Stegner ist bekannt für klare Worte. Gestern ätzte der stellvertretende SPD-Parteichef gegen Angela Merkel. Sie sei die "Zick-Zack-Kanzlerin". Wie schon bei der Maut, dem Soli und in der Atompolitik, so auch jetzt in der Flüchtlingspolitik . Erst wurden die Grenzen für Flüchtlinge weit aufgemacht, dann plötzlich geschlossen.

Den Eindruck der Unbeständigkeit teilte in Sachen Flüchtlingen gestern auch manch ein Vorständler in der Union. "Es brodelt unter der Oberfläche", kommentierte einer, der nicht genannt werden will. Vor allem an der Parteibasis beobachte man das Vorgehen in Berlin mit großer Skepsis und Sorge. "Wir müssen die Leute mitnehmen, die Stimmung darf nicht kippen." In den Gremien übte jedoch anscheinend keiner offen Kritik. Noch hält die Autorität der Kanzlerin. Die Grenzen jetzt vorübergehend zu schließen, sei richtig, wurde betont. Die Maßnahme sei ein wichtiges Signal, um "Luft aus dem Tempo" zu nehmen, mit dem die Flüchtlinge nach Deutschland drängen würden. Ungewohnt lange soll die Debatte darüber geführt worden sein. Das hat auch noch einen anderen Grund: Der CDU sitzt die Schwesterpartei CSU im Nacken. Ausgerechnet sie ist die größte Kritikerin der Merkel'schen Flüchtlingspolitik .

Parteichef und Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer hatte fast schon triumphal verkündete, dass er höchstpersönlich die Kurskorrektur durchgesetzt habe. Nach der "sehr dramatischen und dynamischen Entwicklung" müsse nun noch einmal über Finanzen gesprochen werden, legte Seehofer nach einer CSU-Vorstandssitzung gestern nach. Und sein Generalsekretär Andreas Scheuer verkündete: "Wir fordern, dass die Grenzkontrollen so lange bleiben, bis das Flüchtlingsproblem europäisch geklärt ist."

So mancher nicht nur in der Politik stellt sich die Frage, ob die Regierung die Situation nicht mehr im Griff hat. Für heute ist im Kanzleramt ein Krisentreffen Merkels mit den Ministerpräsidenten angesetzt, das die Regierungschefs der Länder allerdings schon lange gefordert hatten. "Die Bundesregierung handelt immer so, wie die Lage es erfordert", sagte Regierungssprecher Steffen Seibert . Eine geplante Kabinettsklausur wurde kurzerhand abgesagt.

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