Studie Fast jeder Dritte fühlt sich benachteiligt

Berlin · Vor allem im Arbeitsleben erleben die Deutschen häufig Diskriminierung, sagt eine neue Studie – und sieht die Politik am Zug.

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Foto: SZ

Etwa jeder dritte Bürger in Deutschland hat sich schon einmal diskriminiert gefühlt. Vor allem im Beruf und bei der Jobsuche. Das geht aus dem aktuellen Bilanzbericht der Antidiskriminierungsstelle des Bundes sowie der Behinderten- und der Migrationsbeauftragten der Bundesregierung hervor, der gestern in Berlin vorgestellt wurde. Nachfolgend fasst SZ-Korrespondent Stefan Vetter die wichtigsten Erkenntnisse zusammen:

Was gilt als Diskriminierung?

Seit elf Jahren ist in Deutschland das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AAG) in Kraft. Demnach darf kein Mensch wegen seiner ethnischen Herkunft, Religion oder Weltanschauung, wegen einer Behinderung, seines Alters, Geschlechts oder sexuellen Orientierung benachteiligt werden. Bei Verstößen besteht ein Schadensersatzanspruch. Betroffene können bei der Antidiskriminierungsstelle erfahren, ob die Bestimmungen des AAG tatsächlich auf sie zutreffen und welche Hilfe möglich ist.

Was sind die Hauptergebnisse der Studie?

Laut Bericht haben 31,4 Prozent der Menschen in Deutschland schon einmal eine Diskriminierung aufgrund der im AAG genannten Merkmale erfahren. Unter der Berücksichtigung nicht vom Gesetz erfasster Kriterien, wie etwa der sozialen Herkunft, liegt der Anteil sogar bei 35,6 Prozent. Fast 15 Prozent gaben eine Benachteiligung wegen ihres Alters an, 9,2 Prozent wegen ihres Geschlechts, 8,8 Prozent im Zusammenhang mit ihrer Religion oder Weltanschauung, 8,4 Prozent wegen ihrer ethnischen Herkunft sowie 7,9 Prozent wegen einer Behinderung. 2,4 Prozent fühlten sich aufgrund ihrer sexuellen Orientierung benachteiligt.

Welcher Lebensbereich ist am stärksten betroffen?

41 Prozent der gemeldeten Probleme betreffen das Arbeitsleben. So klagen zum Beispiel Menschen mit Behinderungen, ungeachtet ihrer Qualifikation nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen zu werden. Menschen mit ausländisch klingenden Namen sehen sich ebenfalls diskriminiert, genauso wie ältere Menschen. Frauen wird häufig wegen ihrer Kinder oder Schwangerschaft der Zugang in den Arbeitsmarkt erschwert.

Woher rührt das Problem?

Dem Bericht der Antidiskriminierungsstelle des Bundes zufolge bekommen nicht alle Erwerbslosen von den Arbeitsagenturen und Jobcentern die gleiche Unterstützung. Eine Ursache sei das sogenannte Kennzahlensystem in diesen Behörden, das auf die Vermittlung gut qualifizierter Personen ausgerichtet ist und nicht auf die Arbeitsmarktintegration von Problemfällen. Der Leiter des Instituts für Arbeit und Qualifikation an der Uni Duisburg-Essen, Martin Brussig, regte deshalb gestern an, dieses System im Interesse der Menschen mit besonderem Förderbedarf zu überarbeiten.

Wo drückt der Schuh noch?

Insbesondere bei der Wohnungssuche. Vor allem durch die gestiegene Zahl der Asylbewerber häufen sich dazu die Anfragen bei der Antidiskriminierungsstelle. Die Integrationsbeauftrage Aydan Özoguz (SPD) beklagte, dass allein schon „Name und Aussehen“ reiche, um bei Vermietern schlechte Karten zu haben. Sie selbst habe das auch schon erlebt, berichtete die SPD-Politikerin. So sei ihr Mann, der ehemalige Hamburger Innensenator Michael Neumann, auf Nachfrage sofort zur Besichtigung einer Wohnung eingeladen worden, während man ihr auf eigene Anfrage fast zeitgleich gesagt habe, diese Wohnung sei schon vergeben.

Wie reagieren die Betroffenen?

Immerhin vier von zehn Betroffenen nehmen die Diskriminierung hin, weil sie sich nicht zu helfen wissen, oder Angst vor negativen Folgen habe. Knapp 28 Prozent machen auf ihr Problem aufmerksam, indem sie zum Beispiel vom Arbeitgeber nähere Auskunft verlangen. Nur gut sechs Prozent leiten juristische Schritte ein.

Reicht der bisherige Schutz vor Diskriminierung also aus?

Nein, meinte gestern die Leiterin der Antidiskriminierungsstelle, Christine Lüders. Sie sprach sich für ein eigenes Klagerecht der Betroffenen-Verbände aus. Außerdem sollten die Fristen, innerhalb derer rechtliche Ansprüche wegen einer Diskriminierung geltend gemacht werden können, von bislang zwei auf künftig sechs Monate verlängert werden.

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