Europas teurer Wanderzirkus

Brüssel · Mal tagen sie in Belgien, mal in Frankreich, mal in Luxemburg: die EU-Parlamentarier. Das kostet jährlich 200 Millionen Euro und nervt auch die reisenden Politiker. Sie wollen den Wanderzirkus beenden – doch was macht Paris?

Das Europäische Parlament probt den Aufstand. Seit einer Vereinbarung von 1992 logiert die Volksvertretung mit inzwischen 766 Abgeordneten zwölf Mal im Jahr für eine Woche im elsässischen Straßburg - "Stressburg", wie die Volksvertreter und ihre rund 3000 Assistenten, die mitreisen müssen, gerne sagen. Gestern gelang eben dort so etwas wie eine kleine Palast-Revolution: Mit überwältigender Mehrheit stimmten die Mandatsträger für die Entschließung ihres eigenen Verfassungsausschusses. Die aber erwähnt keinen der insgesamt drei Parlamentstagungsorte (neben Brüssel und Straßburg tagen die Abgeordneten auch einmal im Jahr in Luxemburg) namentlich. Stattdessen fordert das Plenum, über seinen Sitz selbst bestimmen zu können. Gerald Häfner (Grüne) sprach gar von "einer Abstimmung mit historischer Bedeutung". Das Parlament sei es leid, "auf Geheiß der Staats- und Regierungschefs hin- und hergeschickt zu werden."

Genau das ist das Problem: Die Parlamentarier dürfen bisher nicht selbst entscheiden, wo sie ihren Stammsitz haben. Zuständig ist der Europäische Rat, also die 28 Staats- und Regierungschefs. Sie müssten einstimmig beschließen, denn es handelt sich um eine Vertragsänderung. Schließlich wurde Straßburg erst 2009 im Lissabonner Reform-Dokument erneut festgeschrieben - auf Drängen Frankreichs. Für Paris geht es um viel Nationalstolz. Das Prestige lässt man sich einiges kosten: Fast 200 Millionen Euro aus dem EU-Etat verschlingt der "Reisezirkus" pro Jahr, weil acht Lkw-Ladungen mit Akten eingepackt, ins Elsass geschafft und dort wieder ausgepackt werden müssen. Nach vier Tagen geht's wieder zurück. 4000 Menschen pendeln mit. Die Öko-Bilanz der Aktion fällt für den "Klima-Star EU" peinlich aus: Fast 19 000 Tonnen CO{-2} fallen jedes Jahr an.

Es gibt im Parlament aber auch erbitterte Kämpfer für den Standort in Frankreich. Einer davon ist der CSU-Abgeordnete Bernd Posselt. Er kritisiert den Anti-Straßburg-Bericht als "Mogelpackung" und sagt ein "weiteres fruchtloses Schattenboxen zwischen den EU-Mitgliedstaaten" vorher. Da könnte was dran sein. Alle französischen Regierungen haben bislang Änderungen am Status quo abgelehnt. Dieses Mal versprechen sich die Initiatoren aber mehr Flexibilität. Man müsse Paris lediglich einen angemessenen Ausgleich anbieten.

In Brüssel heißt es, hinter den Kulissen werde bereits "behutsam" verhandelt, ob sich Staatspräsident François Hollande erweichen lassen könnte, wenn man ihm die Gebäude überlassen und eine lukrative EU-Einrichtung dafür anbieten würde - beispielsweise die bereits angedachte europäische Universität. Allerdings hatten entsprechende Berichte über eine solchen Deal noch vor sechs Jahren zu einem erbitterten Widerspruch des damaligen Regierungschefs Dominique de Villepin geführt.

Ob das nun anders sein wird? "Wir müssen endlich unser volles Selbstorganisationsrecht durchsetzen", forderte Häfner. Bei den Liberalen wagte man sich gestern sogar schon so weit vor, von einem bevorstehenden "historischen Ende der unsinnigen Aufteilung auf drei Orte" zu sprechen. Nun wird es wohl an Parlamentspräsident Martin Schulz sein, diese Entschließung den Staats- und Regierungschefs bei einem der nächsten Brüsseler Gipfeltreffen näherzubringen - und das möglichst so, dass Hollande nicht sofort das "Non" seiner Vorgänger wiederholt.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort