Europa hat dichtgemacht

Brüssel · Mehr Personal, härteres Durchgreifen: Die EU hat ihren Grenzschutz aufgestockt. Über 1000 Mann der Agentur Frontex sind seit gestern im Einsatz – unter anderem als schnelle Eingreiftruppe für Abschiebungen.

Es gibt kaum jemanden, der an diesem Donnerstagmorgen am Grenzübergang "Kapitan Andreevo" zwischen Bulgarien und der Türkei die Floskel vom "historischen Moment" auslässt. "Ab heute ist die Außengrenze eines Mitgliedstaats die Außengrenze aller Mitgliedstaaten", betonte der für Migrationsfragen zuständige EU-Kommissar Dimitris Avramopoulos. Man feierte die Geburtsstunde einer "neuen Frontex-Agentur". Denn die europäischen Experten haben seit gestern ein neues Mandat: Sie sollen die rund 14 000 Kilometer europäischer Grenzen und Küsten schützen, was nur ein anderes Wort für "dichtmachen" ist.

Über 1000 Mitarbeiter gehören der Europäischen Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen - so der offizielle Name von Frontex - bald an, die über einen Jahresetat von 114 Millionen Euro verfügen kann. Bis zum 7. Dezember sollen ein Reserve-Pool mit weiteren 1500 Experten und Sicherheitsbeamten sowie die umfangreiche Ausrüstung stehen. Einen Monat später muss der vielleicht umstrittenste Arm des EU-Amtes einsatzbereit sein: Die Spezialisten für Rückführungen nehmen ihre Arbeit auf.

Der veränderte Auftrag der Grenzschutz-Einheit hat im Vorfeld für viel Ärger gesorgt: Zum einen sollen die Frontex-Mitarbeiter wie bisher die Tätigkeiten der nationalen Beamten an den Übergängen koordinieren, aber eben auch überwachen und bewerten. Zum anderen können die EU-Experten Rückführungen nicht nur verlangen, sondern anordnen und notfalls auch durchsetzen, wenn die staatlichen Stellen dazu nicht in der Lage sind. "Ein Fortschritt", sagt die Fachfrau für die Innere Sicherheit der SPD im Europa-Parlament, Birgit Sippel. "Das Ziel ist unlauter", meint die Expertin der Grünen-Parlamentsfraktion, Ska Keller: "Frontex soll Europa vor Flüchtlingen schützen, statt das Prinzip des Flüchtlingsschutzes zu verteidigen." Ob das alles am Ende funktioniert, steht noch in den Sternen. Die Mitgliedstaaten müssen nämlich Experten abstellen. Doch die Bereitschaft von Polizisten und Justizmitarbeitern, monatelang in Bulgarien oder Griechenland ankommende Flüchtlinge zu registrieren und auch zurückzuschicken, scheint bisher nicht sehr ausgeprägt.

Solche Probleme werden wohl noch einige Zeit die Einsätze ausbremsen. Das gilt auch für die politische Ebene: Zwar darf Frontex seine Sicherheitsfachleute nicht - wie ursprünglich geplant - gegen den Willen eines Mitgliedstaates entsenden. Die Agentur erstellt aber sehr wohl Berichte für die Brüsseler EU-Kommission über die Qualität der nationalen Grenzkontrollen. Sollte sich die Regierung eines gerügten Mitgliedstaates dann nicht kooperativ zeigen, kann das Land für bis zu zwei Jahre aus dem Schengen-Verbund geworfen werden. Europa übernimmt in weiten Teilen die politische und organisatorische Hoheit über Grenz- und Küstenschutz sowie die Rückführung von Flüchtlingen. Ein wichtiger Schritt. Denn man hat sich gegenüber den Mitgliedstaaten verpflichtet, bis zum Jahresende das Schengen-System wieder in Kraft zu setzen. Dann könnten die geschlossenen Grenzen wieder geöffnet werden.

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