EU will Flüchtlinge frühzeitig abfangen

Brüssel · Die Außenminister der EU planen sogenannte Asylzentren in Afrika, um dem Flüchtlingsstrom Herr zu werden. Doch beim genaueren Hinsehen entpuppt sich die Idee als überaus kompliziert. Die Umsetzung wird schwierig.

Die Situation ist dramatisch. 283 000 Menschen kamen 2014 illegal in die EU. 220 000 benutzten dabei den "Seeweg", wie es offiziell verharmlosend heißt. Denn in Wirklichkeit kämpften sie sich in seeuntüchtigen Booten über das Mittelmeer Richtung Europa . Rund 3500 ertranken allein im Vorjahr.

Die Zahlen, die der Chef der europäischen Grenzschutz-Agentur Frontex, Klaus Rösler, vor wenigen Tagen nannte, zeigen, wie sehr die EU unter Druck steht. In der Vorwoche waren es die Innenminister der Mitgliedstaaten, die Alarm schlugen. Gestern übernahmen die Außenamtschefs die Regie. Sie wollen die Fluchtursachen in den Heimatländern bekämpfen - vor allem in Libyen. "Gott sei Dank sind die Gespräche, die der Sonderbeauftragte der EU führt, bisher noch nicht abgebrochen, sondern werden fortgesetzt", sagte Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier in Brüssel . Eine Lösung sei aber auch nicht in Sicht. Was das heißt, erklärte EU-Chefdiplomatin Federica Mogherini in beiden Ministerrunden: Demnach werden die Flüchtlingszahlen weiter nach oben schnellen, sobald das "Reisewetter" im Mittelmeer wieder besser wird.

Die einzige Idee, die derzeit wirklich auf den Brüsseler Tischen liegt, sind "Asylzentren" entlang der nordafrikanischen Küste, in denen die Menschen regelrecht beraten werden und vorab erfahren, ob sie in der EU überhaupt eine Chance auf Asyl haben. Es handelt sich um einen Vorstoß Deutschlands, Österreichs und Italiens. Doch nicht nur in Großbritannien und Belgien stößt die Initiative auf Ablehnung. Auch Bundesjustizminister Heiko Maas äußerte sich bereits ablehnend. Dabei steht nicht einmal fest, wer solche Zentren betreiben und was in ihnen geschehen könnte. Im Umfeld von Bundesinnenminister Thomas de Maizière weiß man um die rechtliche und praktische Problematik, die mit solchen Einrichtungen verbunden ist. Ein deutscher Experte umreißt die Fragestellungen: "Gibt es dort einen Schalter für jedes Mitgliedsland oder nur einen für die gesamte EU? Werden dort Asylanträge bearbeitet - auf welcher Rechtsgrundlage? Und nach welchen humanitären Standards? Und vor allem: Was passiert dann mit den Flüchtlingen, die einen Reisegutschein in der Hand halten?"

Tatsächlich könnten diese Auffanglager wohl eher vom UN-Hochkommissariat für Flüchtlingsfragen (UNHCR) betriebene Anlaufstellen sein, die Informationen weitergeben und Gerüchte über das "glückselige Leben in Europa " entkräften. Zugleich, so sagen deutsche Regierungskreise, könnten die Zentren aber auch dafür sorgen, dass nur die legal nach Europa gelassen werden, die auch ein Recht auf Aufnahme haben. Innerhalb der EU fragt man sich nämlich immer öfter, ob diejenigen, die tausende Dollar für Schlepperbanden bezahlen können, wirklich die "richtigen" Flüchtlinge sind. Ein hoher EU-Diplomat meinte gegenüber unserer Zeitung: "Wer in die Fänge des IS oder als politisch Verfolgte in Syrien aufgefallen ist, hat üblicherweise keine horrenden Bargelder, um damit Kriminelle bezahlen zu können." Doch selbst wenn sich diese Idee mit den Flüchtlingszentren vor Ort - ein erstes soll in den kommenden Monaten in Niger errichtet und versuchsweise betrieben werden - am Ende durchsetzen sollte, braucht Europa nicht weniger als einen Tabubruch. Schließlich hatten sich die Mitgliedstaaten bisher gegen einen Schlüssel für die Aufnahme von Flüchtlingen gewehrt. Nun bereitet die Kommission für ihre Migrationsstrategie, die im Mai präsentiert werden dürfte, genau das vor. Dabei sollen die Bevölkerungszahl, das Bruttoinlandsprodukt sowie die bisherige Zahl von Asylanträgen je Land einen Schlüssel ergeben. Deutschland, das 2014 rund 41 000 Asylbewerber aufgenommen hat, braucht wohl nicht aufzustocken. Wohl aber Spanien, das sich heftig wehrt.

Dass eine Lösung für das Flüchtlingsproblem nicht schnell zu finden sein wird, ist absehbar. "Die Zahlen steigen, und wir diskutieren Ideen", sagte denn auch Innenminister Thomas de Maizière resigniert Ende vergangener Woche in Brüssel . Die EU kommt nur mit kleinen Schritten voran. Einer davon steht in dieser Woche an: Die europäische Polizeizentrale Europol im niederländischen Den Haag wird eine neue Arbeitsgruppe "Schlepperkriminalität" installieren. Immerhin.Entgegen der öffentlichen Wahrnehmung spielt die Zuwanderung aus Afrika in Deutschland eine weit untergeordnete Rolle. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes stammten zum Jahresende 2014 nur rund sechs Prozent der aktuell in Deutschland lebenden Ausländer aus afrikanischen Staaten, in absoluten Zahlen: 363 745. Die größte Gruppe mit rund 145 000 Personen kommt aus Nordafrika (Ägypten, Algerien, Marokko, Tunesien).

Insgesamt registrierten die Statistiker im vergangenen Jahr mit einem Plus von 6,8 Prozent die größte Zuwanderung seit 1967. Rund 60 Prozent der Zuwanderer kommen aus EU-Ländern. Darunter stellen Rumänen (plus 32,9 Prozent) und Bulgaren (plus 24,8 Prozent) den größten Teil. Die größte Gruppe der Zuwanderer aus Nicht-EU-Staaten kommt aus Syrien (61 300 Personen), gefolgt von Serbien (15 900) und Eritrea (14 100).

Meinung:

Auf der Flucht

Von SZ-KorrespondentDetlef Drewes

Die EU steckt in einem Dilemma: Weist sie die Asylsuchenden pauschal zurück, schafft sie de facto ein zentrales Menschenrecht ab. Nimmt sie die Flüchtlinge auf, überfordert sie damit jene Gemeinden, die vor Ort die Integration übernehmen müssen. Nun wird man es wohl mit Auffanglagern versuchen. Schon einmal waren Europas Politiker mit dieser Idee gescheitert. Nun versucht man es wieder. Weil es angesichts der unbestreitbaren Überlastung der südlichen Mitgliedstaaten kaum eine andere Chance gibt. Das Problem ist der Sog ins gelobte Land Europa . Wenn es tatsächlich gelingen sollte, diejenigen mit einem Anspruch auf Asyl von denen zu trennen, die einfach nur illegal einreisen wollen, können diese Zentren eine Entspannung bringen. Aber sie sind keine Lösung, weil die EU auch denen, die kein Recht auf Einwanderung haben, helfen muss. Vor Ort.

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