Etwas aufsässiger als Angela Merkel

Berlin. Wenn Angela Merkel (58) und Johanna Wanka (61) demnächst mal entspannt bei einer Tasse Kaffee zusammensitzen, können sie viele Gemeinsamkeiten austauschen. Sie können sich zum Beispiel über den "Mechanismus von Zerfallsreaktionen mit einfachem Bindungsbruch und die Berechnung ihrer Geschwindigkeitskonstanten" unterhalten

Berlin. Wenn Angela Merkel (58) und Johanna Wanka (61) demnächst mal entspannt bei einer Tasse Kaffee zusammensitzen, können sie viele Gemeinsamkeiten austauschen. Sie können sich zum Beispiel über den "Mechanismus von Zerfallsreaktionen mit einfachem Bindungsbruch und die Berechnung ihrer Geschwindigkeitskonstanten" unterhalten. So lautet Merkels Physik-Dissertation von 1986, die in ihrem Arbeitszimmer im Kanzleramt steht, ganz unten im Regal. Alles handgetippt. Wanka könnte über "Räumliche Randwertaufgaben der Potentialtherorie mit Kopplungsbedingungen" diskutieren, ihre Mathematik-Doktorarbeit von 1980. Sie könnten auch über die wilden Zeiten direkt nach der Wende in der DDR reden. Wanka war beim "Neuen Forum" in Merseburg, die etwas jüngere Merkel beim "Demokratischen Aufbruch" in Berlin. Und jetzt sitzen diese zwei Naturwissenschaftlerinnen aus dem Osten an der Spitze der deutschen Politik. Es ist eines der Wunder der deutschen Revolution von 1989.Weniger gut könnten sie sich freilich über die Monate unmittelbar vor dieser Revolution unterhalten. Da war die heutige Kanzlerin eher eine Mitläuferin, war Mitglied in der Jugendorganisation FDJ an dem Institut der Akademie der Wissenschaften, an dem sie ansonsten unauffällig arbeitete. Wanka hingegen engagierte sich schon vor dem Mauerfall in Merseburg als Oppositionelle, zu einer Zeit, als es noch gefährlich war. Beide wuchsen in Haushalten auf, die systemfern waren. Merkel als Pastorentochter, Wanka, Mädchenname Müller, als Bauernkind aus Nordsachsen. Beide sind protestantisch. Aber Wanka war zu DDR-Zeiten die Aufsässigere, die Unangepasstere. Als sie mit 14 der FDJ beitreten musste, um an die Oberschule gehen zu können, habe sie "geheult vor Wut", berichtete sie einmal.

Merkel fiel nach der Wende nach oben. Helmut Kohl machte das "Mädchen" zur Bundesministerin. Wanka ging erstmal nur in den Kreistag, und vollzog über ihre Professur für Ingenieurmathematik in Merseburg und den Job der Hochschulrektorin einen langen fachlichen Umweg. Aber seit 2000, als Bildungsministerin zunächst neun Jahre lang in Brandenburg, seit 2010 im gleichen Job in Niedersachsen, ist auch sie in der Spitzenpolitik angekommen. Beide Frauen sind sachorientiert, bodenständig, erfreulich uneitel. Als Wanka den zerstrittenen CDU-Landesverband in Brandenburg ab 2008 leitete, ebenso kurz danach die Landtagsfraktion, war es für ein paar Jahre etwas ruhiger in Potsdam. So wie in der Bundes-CDU unter Angela Merkel.

Allerdings, Wanka ist unnachgiebiger, wenn sie einmal von einer Sache überzeugt ist. Nicht gut unterhalten könnten sich Merkel und sie wahrscheinlich deshalb über das Thema Studiengebühren. Wanka argumentiert unbeirrt weiter für dieses Instrument, auch wenn Landesregierung um Landesregierung davon nun abrückt. Noch im vergangenen Sommer meinte sie, das werde es in fünf Jahren bundesweit geben. Derzeit gibt es Studiengebühren aber nur noch in Niedersachsen, wo sie aber die neue rot-grüne Regierung gerade abschafft, und Bayern, wo es einen Volksentscheid dagegen gibt.

Merkel wird Wanka in ihrem neuen Amt als Bundesbildungsministerin wohl raten, etwa geschmeidiger zu sein und lieber mal abzuwarten. So wie sie selbst.

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