Erst Fessenheim, dann Cattenom?

Paris/Saarbrücken · Eine Panne im umstrittenen Atomkraftwerk Fessenheim im Elsass vor zwei Jahren war offenbar wesentlich dramatischer als bislang bekannt. Saar-Politiker reagieren mit Blick auf Cattenom voller Empörung.

"Schwerer Störfall im Atomkraftwerk Fessenheim" - so hätte vor zwei Jahren die Schlagzeile zu den Vorfällen an der deutsch-französischen Grenze lauten müssen. Dem war aber nicht so. Denn nach Recherchen von "Süddeutscher Zeitung" und WDR wurde die Angelegenheit von französischer Seite heruntergespielt. Erst jetzt wurde das Ausmaß der Panne deutlich - was sofort die saarländischen Parteien auf den Plan rief, die seit Jahren unisono die Abschaltung von Fessenheim und vor allem des viel näher gelegenen AKW Cattenom fordern.

"Sollte sich die Darstellung der Medien bestätigen, dann ist das ein ungeheuerlicher Skandal", sagte der saarländische Umweltminister Reinhold Jost (SPD ) zu den Meldungen. "Wir sind hier offenbar mit Glück vor einem GAU bewahrt worden und wurden noch nicht einmal informiert. Im Gegenteil, diese Beinahe-Katastrophe wurde auch noch unter der Decke gehalten", empört sich Jost.

Der Störfall in Fessenheim, dem ältesten französischen Atommeiler aus dem Jahr 1977, ereignete sich laut "Süddeutscher Zeitung" und WDR am 9. April 2014. Eine Überschwemmung brachte Wasser in die Schaltschränke mit der Sicherheitselektronik in Reaktor eins. Die Steuerstäbe, mit denen die Leistung des Reaktors gelenkt wird, waren offenbar manövrierunfähig. Dazu wurde durch das Wasser in den Schaltschränken eines der beiden parallelen Sicherheitssysteme außer Kraft gesetzt, sodass der Reaktor durch die Einleitung von Bor heruntergefahren werden musste. Der Betreiber, der Stromkonzern EDF, ordnete den Vorfall auf der internationalen siebenstufigen INES-Skala nur mit Stufe eins ein. Experten sehen die Situation allerdings deutlich dramatischer: "Mir ist kein Fall bekannt, wo ein Leistungsreaktor hier in Westeuropa störfallbedingt durch Zugabe von Bor abgefahren werden musste", sagte der AKW-Experte Manfred Mertins der "Süddeutschen Zeitung".

Der Vorfall in Fessenheim ruft auch bei der Saar-CDU Sorge und Empörung hervor: "Die zutage getretenen Erkenntnisse über die Vorfälle rund um das AKW Fessenheim sind ohne Weiteres übertragbar auf das AKW Cattenom. Die Vorfälle in Cattenom und jetzt rund um das AKW Fessenheim stellen aufgrund der Grenznähe der Reaktoren auch eine Gefährdung für die Bevölkerung in Deutschland dar", sagte der umweltpolitische Sprecher der CDU-Landtagsfaktion, Stefan Palm . Die französische Atomaufsichtsbehörde sei nun zum Handeln aufgefordert, "anstatt die Störfälle zu verwalten und Gefahrenpotenziale zu verharmlosen.

Grünen-Chefin Simone Peter kritisierte im WDR: "Ein Betreiber, der wie ein Hasardeur agiert, eine Aufsicht, die beide Augen zudrückt, und ein Atomkraftwerk, das aus dem letzten Loch pfeift. Das ist nicht hinnehmbar." Der Vorsitzende der Grünen-Landtagsfraktion, Hubert Ulrich , sprach von einer "skandalösen Informationspolitik" des Konzerns EDF, weil der Vorfall in Fessenheim fast zwei Jahre lang verschwiegen wurde. "Auch in Bezug auf den Pannenmeiler Cattenom, der ebenfalls von EDF betrieben wird, wurden in der Vergangenheit bereits mehrere Zwischenfälle der Öffentlichkeit zunächst verschwiegen."

In lebhafter Erinnerung ist im Saarland noch der Brand im AKW Cattenom vom Juni 2014, als schwarze Rauchwolken über die Anlage aufstiegen. Hunderte besorgte Bürger wandten sich an Polizei und Behörden, um zu erfahren, was geschehen war. Der Betreiber EDF bestätigte dann den Brand unter Verweis, er sei im nicht-nuklearen Bereich des Kraftwerks entstanden.

"Über einen Zwischenfall, der sich Ende Januar dieses Jahres im nicht-nuklearen Bereich ereignet hat, wurde erst nach mehreren Tagen informiert", beklagte Ulrich. Der Meiler in Lothringen sei eine "aufgrund seiner erheblichen Sicherheitsmängel nach wie vor eine tickende Zeitbombe". Cattenom liegt rund 60 Kilometer von Saarbrücken entfernt. In der Hauptwindrichtung liegen auch deutsche Großstädte wie Frankfurt, Mainz, Wiesbaden, Darmstadt, Mannheim, Heidelberg und Karlsruhe.

EDF zeigt sich von der Kritik an Cattenom aus dem benachbarten Ausland ungerührt. Rund 200 Millionen Euro will man künftig in Wartungsarbeiten investieren. Direktor Guy Catrix hofft auf eine langfristige Zukunft der Anlage: "Wir steuern eine Laufzeit von mehr als 40 Jahren an, natürlich im Rahmen des geltenden Rechts", sagte er vor Kurzem unserer Zeitung. Noch liegt die gesetzlich festgelegte Laufzeit für Atomkraftwerke bei 40 Jahren, laut Informationen des Radiosenders Europe 1 ist die sozialistische Umweltministerin Ségolène Royal jedoch kurz davor, einer Verlängerung zuzustimmen - entgegen dem Versprechen, das ihr ehemaliger Lebensgefährte François Hollande noch im Wahlkampf 2012 gemacht hatte, als er die Schließung von Fessenheim bis zum Jahr 2017 ankündigte.

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In Cattenom gab es nach Angaben von EDF im Jahr 2014 drei Störfälle der Stufe 1 ("Unregelmäßigkeit") auf der siebenstufigen internationalen Störfall-Skala Ines, die als Stufe 7 den Super-Gau ausweist. Zudem registrierte man 46 "Abweichungen" der Stufe 0 sowie zwölf "umweltrelevante Ereignisse", darunter zu große Einleitungen von Kupfer und Zink in die Mosel. Die Pannenserie setzte sich 2015 und auch im laufenden Jahr fort. red

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